Um Trends und Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, führt Swiss Textiles den Think Tank Kontext. Ein Team von Experten aus Design, Industrie, Medien und Forschung filtert Trendwissen und bringt Akteure aus Wirtschaft und Design zusammen. Informationen eines ganzen Netzwerks fliessen durch die Zusammenarbeit mit der Première Vision ein. Längst mehr als nur eine Textil- und Modemesse, setzen ihre Farbkarten, Foren und Talks wichtige Impulse. Über eine internationale Kooperation, die Wissen auf alle Seiten vermittelt.
Evelyne Roth, kreative Leiterin der Kontext, vertritt Swiss Textiles im Color Board der Première Vision. Regelmässig trifft sie sich in Paris mit dem Kreativteam um Fashion Director Pascaline Wilhelm und Creative Consultants aus Europa, Südamerika und Asien. Diskutiert werden Neuentwicklungen aus Industrie und Forschung sowie Trends – bekannte und solche, die sich erst abzeichnen. Das Team kreiert Farbkarten, setzt Schwerpunkte und definiert, auf welche Themen die nächste Messe aufbaut. Auch die Inhalte der Talks werden verhandelt, die während der Messe stattfinden. Dabei bringt Roth ihr Wissen ein, das vom Kontext-Maker-Team für die Plattform erarbeitet wurde.
«Das dominierende Thema dieses Mal war Nachhaltigkeit – die Aussteller des Smart Creation Spot wurden von Besuchern geradezu überrannt», sagt Roth. So deutlich hat sich das bisher nicht gezeigt. Ob Sportswear, Leder oder Accessoires, in allen Foren wurden Produkte präsentiert, die sowohl auf konventionelle als auch auf nachhaltige Weise hergestellt werden können. Nicht immer halten sogenannt grüne Produkte einer genauen Prüfung stand.
Da absolvieren viele Hersteller einen Spagat. Die Dringlichkeit scheint klar, doch wir stecken noch mitten im Verschiebungsprozess.
«Oft fehlt das Wissen um die Komplexität der textilen Produktionskette», so Roth. «Ein weiterer Punkt ist der Preis. Nachhaltige, nach neuesten Erkenntnissen produzierte Produkte sind zwar vorhanden, den Kunden aber oft zu teuer. Deshalb bringen die Hersteller Halblösungen auf den Markt, die zwar nicht konsequent nachhaltig, dafür aber günstiger sind. Da absolvieren viele Hersteller einen Spagat. Die Dringlichkeit scheint klar, doch wir stecken noch mitten im Verschiebungsprozess.»
Neben klassischen Streifen- und Blümchenmustern war eine starke Neigung zur Reduktion sichtbar. Kleinere Kollektionen und Produktpaletten, weniger Verbundmaterialien, Qualitäten, Farben. Darin liegt allerdings kein Verlust, sondern eine Schärfung des Fokus. Wird mit Strukturen gespielt, soll die Raffinesse sichtbar sein – Arbeitsschritte, die visuell nicht fassbar sind, können sich die Hersteller heute nicht mehr leisten. Viele Materialien sind reversibel anwendbar; eine clevere Methode, um trotz Reduktion gestalterischen Spielraum zu schaffen. Haptik ist wichtig, feinste Gewebe kontrastieren mit sperrigen, knittrigen Stoffen. Man will die Fasern spürbar machen, sie atmen lassen.
Seit die Première Vision vor drei Saisons mit den Talk-Foren angefangen hat, ist die Nachfrage nach Information massiv gestiegen.
Doch Trends allein sind heute nicht mehr Grund genug, zur Première Vision zu fahren. Auch das Verkaufsargument gibt nicht den Ausschlag; verkaufen lässt sich schliesslich auch auf dem digitalen Marktplatz der Messe. Vielmehr ist es die Vermittlung von Wissen, die Aussteller und Besucher anzieht. Roth erklärt: «Seit die Première Vision vor drei Saisons mit den Talk-Foren angefangen hat, ist die Nachfrage nach Information massiv gestiegen. Man will sich an der Messe nicht mehr bloss präsentieren, sondern auch informieren. Wohin entwickelt sich die Industrie? Digitalisierung, fachspezifische sowie gesellschaftspolitische Themen, da sind viele Fragen.» Für die Firmen sind die Talks auch eine Möglichkeit, sich zu positionieren. Und sie zeigen, dass die physische Zusammenkunft durchaus ihre Berechtigung hat. Das Bedürfnis nach Wissen zählt zu den sogenannten Megatrends unserer Zeit. Die Messeleitung geht darauf ein, indem sie das Programm entsprechend ausbaut.
Gross ist der Wissenstransfer auch zwischen dem Pariser Kreativteam und dem internationalen Beratergremium der Messe. «Was ich an Informationen erfahre, gebe ich an der Kontext-View-Veranstaltung an die Mitglieder von Swiss Textiles weiter.
Wird eine Firma von den Fachleuten entdeckt, verbreitet sich das oft wie ein Lauffeuer.
Gleichzeitig habe ich die Möglichkeit, in Paris deren Neuheiten und Kompetenzen zu platzieren», so Roth. Mitglieder haben zudem die Möglichkeit, zusammen mit Roth am Austausch in Paris teilzunehmen. Häufig ergeben sich daraus fruchtbare Kontakte. Das Netzwerk der Première Vision ist riesig: «Wird eine Firma von den Fachleuten entdeckt, verbreitet sich das oft wie ein Lauffeuer. Mund-zu-Mund-Propaganda ist noch immer eine sehr zuverlässige Methode, um Informationen fliessen zu lassen», sagt Roth.
In Zukunft profitiert der Verband von einer weiteren Kooperation: Seit Anfang Jahr arbeitet Swiss Textiles mit dem Amsterdamer Verleger David Shah zusammen. «Dies gibt uns die Möglichkeit, eine Auswahl aus den Kollektionen unserer Mitglieder in den View Magazines zu platzieren. ‹Viewpoint›, ‹Textile View› und ‹Viewpoint Color› gehören zu den einflussreichsten marktorientierten Publikationen der Branche», so Roth. Wer Shahs Feuerwerk an Wissen und Eloquenz an der vergangenen Kontext miterlebt hat, zweifelt daran bestimmt nicht.
Bilder: Evelyne Roth