Peter Flückiger — 07.02.2024

Der Strukturwandel in der Textil- und Bekleidungsbranche hält seit mehreren Jahren an. Seit dem Spätsommer 2023 hat er sich nochmals beschleunigt. Verschiedene Industriefirmen, die am Standort Schweiz Textilien herstellen, müssen leider kurzarbeiten oder restrukturieren. Was bedeutet das für uns?

Schliessungen, Kurzarbeit, Entlassungen. Die Firmenschicksale der jüngsten Zeit lassen keinen kalt. Jede dieser Firmen ist einzigartig. Trotzdem sind sie keine Einzelfälle mehr.

Die Textilindustrie sieht sich mit strukturellen und konjunkturellen Faktoren konfrontiert. Ein toxischer Cocktail aus Frankenstärke, Inflation, hohen Lagerbeständen auf Kundenseite und geopolitischen Unsicherheiten vergiftet derzeit den Produktionsstandort Schweiz. Er beschleunigt den sich schon länger abzeichnenden Wandel unserer Branche. Von der einstigen Fabrikationsstätte für textile Produkte zu einem Kompetenzzentrum für textile Lösungen.

Die Zutaten des Giftcocktails

WÄHRUNG

  • Rund drei Viertel unserer Textilprodukte werden exportiert. Ein Grossteil davon in die EU. Der Wechselkurs hat sich im letzten Jahrzehnt von 1.25 auf 0.95 verändert. Schweizer Industrieprodukte werden so für den EU-Kunden erheblich teurer. Eine Entwicklung, die sich in den vergangenen Monaten massiv beschleunigte.

KOSTEN

  • Die durchschnittlichen Arbeitskosten pro Stunde in der verarbeitenden Industrie betragen hierzulande doppelt so viel wie der EU-Schnitt. Gegenüber Osteuropa sind es gar viermal so viel. Die Energiekosten in der Schweiz sind seit 2019 stark angestiegen.

INFLATION

  • Die Inflation in wichtigen Absatzmärkten wie Deutschland oder den USA vermindert die Kaufkraft für qualitativ hochstehende Schweizer Textilien.

LAGERBESTÄNDE

  • Die Lager von Brands & Retailers im Sport- und Modebereich sind aktuell (zu) voll. Bestellungen bleiben aus. Hochwertige Vorprodukte aus der Schweiz werden durch minderwertige, günstigere ersetzt.

REGULIERUNGEN

  • Die Zunahme der Regulierungen in der Schweiz und der EU etwa im Bereich von Corporate Social Responsibility verursacht personelle und administrative Aufwände.

GEOPOLITIK

  • Aufgrund der Kriege und Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten sowie des angespannten Verhältnisses zwischen China und den USA ist die Welt von Unsicherheit geprägt. Die Lieferketten werden brüchiger und die Konsumentenstimmung getrübter.

Die Branche wird sich weiter verändern

Die derzeitige Entwicklung zeigt zugleich eine wichtige Erkenntnis: Wer meint, sie führe zu einem Niedergang des Textilstandorts Schweiz, verkennt die Agilität und Wandlungsfähigkeit unserer Branche. Sie verschwindet nicht. Aber sie hat sich verändert und wird es weiterhin.

Im Inland erfolgt die Wertschöpfung zunehmend durch Forschung, Entwicklung, Design, Logistik. Es werden weiterhin Spezialitäten bspw. für die Medizinaltechnik oder die Transportbranche hergestellt. Die Massenproduktion erfolgt im Ausland.

Diese Verschiebung sehen wir auch exemplarisch an Swiss Textiles. Trotz des garstigen Umfelds ist der Verband letztes Jahr um zehn Prozent gewachsen. So stark wie noch nie. Die über 25 beigetretenen Mitglieder sind Firmen, die neue Fasern oder Methoden fürs Recycling entwickeln. Brands, die aus der Schweiz Design und Logistik weltweit steuern.

Jetzt handeln!

Die Politik und wir als Verband müssen dafür sorgen, dass sich die Firmen auf ihre Geschäftstätigkeit konzentrieren können. Dafür muss das Umfeld stimmen. Dafür muss die Politik jetzt handeln und Arbeitsplätze sichern.

Erstens brauchen wir einen hindernisfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt und eine stabile Energieversorgung. Die momentane Erosion der bilateralen Beziehungen schadet der Branche. Die Bilateralen III müssen so schnell wie möglich verhandelt und unterzeichnet werden.

Zweitens liegt es in der Verantwortung der Politik und der Stimmbevölkerung, weitere Belastungen zu verhindern. Beispielsweise ist eine Umverteilung mit dem Giesskannenprinzip wie die 13. AHV-Rente, über die wir am 3. März abstimmen, nicht zielführend. Sie erschwert die wirtschaftliche Lage für KMUs.

Drittens soll die Schweizerische Nationalbank den bestehenden Spielraum in der Währungspolitik zugunsten der Exportindustrie nutzen.

Und wir als Verband?

Unser Verband setzt den eingeschlagenen Weg der Öffnung und der Fokussierung noch konsequenter fort. Wir öffnen uns für neue Mitglieder aus den Bereichen Forschung & Entwicklung, Brands & Retailers sowie textiler Hilfsmittel. Wir öffnen uns auch international und pflegen einen engen Austausch mit den Schwesterverbänden in Europa, dem Maghreb und Asien. Dieses Jahr bspw. gezielt mit Indien und Marokko. Neben dem wirtschaftspolitischen Engagement konzentrieren wir uns auf die Stärken unseres Clusters wie Design, Nachhaltigkeit, Technologie und Fachkräfte.

Damit sich die Textil- und Bekleidungsbranche auch in Zukunft weiter entwickeln kann, sind Politik, Verband und Unternehmen gefordert. Wir alle.

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