Peter Flückiger — 12.09.2023

Die Europäische Union ist mit Abstand unsere wichtigste Partnerin. Die bilateralen Beziehungen sind aktuell blockiert und verschlechtern sich stetig. Diese Unsicherheit ist Gift für unsere KMUs. Es ist höchste Zeit, dass der Bundesrat seine Führungsrolle wahr- und Verhandlungen aufnimmt.

Nehmen Sie das Thema Europapolitik im aktuellen Wahlkampf für die nationalen Wahlen wahr? Ich auch nicht. Und wenn doch, dann will man uns weismachen, dass die Bedeutung Europas abnimmt. Die Personenfreizügigkeit der Grund allen Übels ist oder Verhandlungen nicht pressierten. Die Lage ist wie der Elefant im Raum. Für die Textil- und Bekleidungsbranche ist dies nicht nur falsch. Es ist gefährlich. Wir brauchen geregelte Beziehungen zur EU. Und Wir brauchen sie jetzt.

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Nehmen Sie das Thema Europapolitik im aktuellen Wahlkampf für die nationalen Wahlen wahr? Ich auch nicht

Aus dem aktuellen Konjunkturbericht «Exportgeschäft harzt – Grosshandel hellt sich auf»

Bekleidungsimporte und Exporte nach Wirtschaftsraum 2023 Sommer
Textilimporte und Exporte nach Wirtschaftsraum 2023 Sommer

Die EU ist weiterhin unsere Nummer 1

Die Weltordnung und die Weltwirtschaft sind im Umbruch. Europa hat aus globaler Sicht in den letzten Jahren gegenüber anderen Regionen zwar an Bedeutung verloren. Für unsere Branche ist die EU jedoch nach wie vor der mit Abstand wichtigste Markt. Im ersten Halbjahr 2023 gingen 70% unserer Textil- und Bekleidungsexporte in die EU. Die Pandemie hat die Verletzlichkeit globaler Lieferketten aufgezeigt. Als Folge diversifizieren Unternehmen ihr Sourcing und suchen vermehrt Partner in der Nähe: in der Türkei, Nordafrika, aber auch in Portugal, Rumänien, Italien oder Deutschland.

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Wir brauchen geregelte Beziehungen zur EU. Und Wir brauchen sie jetzt.

Mehr als nur eine Nachbarin

Es geht bei diesen Partnerschaften um weit mehr als nur den Handel von Produkten. Es geht um Kooperationen wie etwa in der Forschung. Um textile Implantate, flüssigkeitsgefüllte Garne, rezyklierbare Fasern. Um diese zu entwickeln, müssen unsere Firmen und Hochschulen nicht nur mitarbeiten können. Sie müssen den Lead übernehmen.

Grenzüberschreitend entwickeln und produzieren Unternehmen auch Textilmaschinen, textile Medizinprodukte oder persönliche Schutzausrüstungen. Das erodierende Abkommen über technische Handelshemmnisse MRA führt jedoch dazu, dass sie genau diese Produkte nicht mehr ohne Zusatzaufwand in der EU verkaufen können.

Die Herstellung oder Funktionalisierung von Textilien bedingt eine stabile Energieversorgung. Ein Versorgungsengpass würde die Unternehmen schwer treffen.

Ein Freihandelsabkommen allein reicht für all das nicht aus. Wir brauchen wieder eine Vollassoziierung an Horizon, eine gegenseitige Anerkennung von Produktezulassungen oder ein Stromabkommen. Mit der EU-Textile Strategy steht zudem ein weiteres grosses Regulierungsprojekt vor der Tür. Es betrifft die Schweizer Textil- und Bekleidungsbranche unmittelbar.

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Die Personenfreizügigkeit ist Teil der Lösung: Rund ein Viertel der Arbeitskräfte stammt aus der EU. Bild: AZ, Airwork & Heliseilerei

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Bis 2050 werden gemäss BFS kumuliert eine halbe Million Menschen mehr pensioniert werden, als in den Arbeitsmarkt eintreten. Bild: AZ, Airwork & Heliseilerei

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Der Fachkräftemangel – trotz massiven Bildungsanstrengungen im Inland – befindet sich auf einem Allzeithoch. Bild: AZ

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Nicht die Zuwanderung ist das Problem der Schweiz, sondern die alternde Gesellschaft.

Personenfreizügigkeit ist Teil der Lösung

Zurück zum Wahlkampf: Wenn überhaupt über die EU diskutiert wird, dann vor allem über die negativen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit. Nicht die Zuwanderung ist das Problem der Schweiz, sondern die alternde Gesellschaft. Bis 2050 werden gemäss BFS kumuliert eine halbe Million Menschen mehr pensioniert werden, als in den Arbeitsmarkt eintreten – negativen Folgen für die Altersvorsorge und den Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit in der Textil- und Bekleidungsbranche ist heute mit 2.5 Prozent so tief wie nie.

Der Fachkräftemangel – trotz massiven Bildungsanstrengungen im Inland – befindet sich auf einem Allzeithoch. Die Personenfreizügigkeit ist Teil der Lösung: Rund ein Viertel der Arbeitskräfte stammt aus der EU. Die Wohnungsnot und die Überlastung der Verkehrsinfrastruktur sind sicher nicht mit einer Einschränkung der Zuwanderung zu lösen, sondern durch Verfahrensvereinfachungen und einer marktgerechteren Preisgestaltung.

Der Bundesrat muss die Führungsrolle übernehmen – jetzt

Eine dynamische Rechtsübernahme und ein Schiedsgericht sind in unserem ureigenen Interesse. Wir sind überzeugt, dass eine Einigung mit der EU möglich ist. Die Sondierungen sind gut vorangekommen. Jetzt ist es Zeit, zu handeln!

Wir erwarten von den künftigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, dass sie sich dem Elefanten annehmen. Wir erwarten vom Bundesrat, dass er dem EU-Dossier höchste Priorität beimisst und bis Ende Jahr das Mandat für Verhandlungen verabschiedet. Noch vor den Europawahlen Anfang Juni 2024 müssen diese gestartet werden.

Abwarten entspricht nicht einem Stillstand, sondern einer Verschlechterung der Situation. Kleingeist und Partikularinteressen dürfen die Europapolitik der Schweiz nicht blockieren.

Peter Flückiger

Peter Flückiger

Vorsitzender der Geschäftsleitung
T: +41 44 289 79 31
peter.flueckiger@swisstextiles.ch

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