Wegen der Corona-Krise musste Cortina Löwers und Büsra Cetins langjähriger Arbeitgeber Jenny Fabrics 2020 schliessen. Doch die anfänglich tragische Meldung entwickelt sich als schicksalshafte Fügung für die beiden: Mit Circolo Textil gründeten sie vor etwas mehr als einem Jahr ihre eigene gemeinsame Firma. Damit gehören sie einer Minderheit weiblicher Startups in der Textilbranche an. Swiss Textiles hat sie besucht.
Ganze zwölf Jahre arbeiten Cortina Löwer und Büsra Cetin gemeinsam bei Jenny Fabrics, dem traditionellen Textilproduzenten in Niederurnen. Löwer zuletzt als Verkaufsleiterin, Cetin arbeitet bis zur Sales Managerin hoch. «Wir haben uns immer schon blind verstanden. Wir sind unkompliziert und sehr erfahren», verrät Cetin.
Ende April 2020 dann die Schockmeldung: Wegen der Corona-Pandemie bricht das internationale Geschäft des Unternehmens zusammen. Nach 186 Jahren sieht es sich gezwungen, alle 96 Angestellte zu entlassen. Darunter auch Löwer und Cetin. Die beiden müssen sich nach neuen Jobs umsehen.
Wir haben uns immer schon blind verstanden. Wir sind unkompliziert und sehr erfahren.
Löwer (47) zieht es nach Appenzell zu einer Weberei, wo sie als Sales Managerin arbeitet. Cetin findet kurz darauf eine Anstellung im Verkaufsinnendienst bei einem Zürcher Stoffspezialisten. Die 32-Jährige stellt jedoch bald fest: «Ich habe die Zusammenarbeit mit Cortina vermisst. Wollte wieder aktiv anpacken, Verantwortung übernehmen, mich täglich mit Kunden austauschen.» Löwer lacht und sagt: «Mir gings ähnlich. Ich habe leidenschaftlich gerne mit Lieferanten verhandelt oder den Produktionsort abgeklärt.» Sie wolle beim ganzen Prozess dabei sein, vom Anfang bis zum Ende. Aufgaben, die am neuen Ort zu kurz kamen.
Die ehemaligen Arbeitskolleginnen bleiben stets in Kontakt, tauschen sich rege aus. Im Frühling 2022 entscheiden sie sich schliesslich, ihre eigene Firma zu gründen: Circolo Textil AG. Eine Art Beschaffer, Berater und Vermittler von Netzwerken rund ums Thema Textilien. Bald folgt der Eintrag ins Handelsregister. Im August beziehen sie ihr Büro in Altendorf im Kanton Schwyz. Zwei Jahre nach der schicksalhaften Hiobsbotschaft aus Niederurnen.
Jetzt können wir endlich wie früher aktiv beim ganzen Projekt dabei sein und aus dem Vollen schöpfen!
Die Zwei-Frau-Firma arbeitet auf Auftragsbasis. Diese ist je nach Kundenwunsch und Funktion, die das textile Endprodukt erfüllen muss, unterschiedlich. Die Inhaberinnen recherchieren eigenhändig alle notwendigen Informationen wie Gewebe, Preis und Muster, klären Produktionsstandorte und Lieferanten ab, vermitteln Kontakte. Am Ende schlagen sie ihren Kunden, die vorwiegend mit technischen Textilien, Oberbekleidungsstoffen und Heimtextilien zu tun haben, die technische Endausarbeitung vor.
Klar, es kann gut sein, dass wir von einigen Mitbewerbern belächelt oder unterschätzt werden.
Ein Jahr ist seit ihrer Gründung nun vergangen. «Wir waren zunächst selbst überrascht, wie reibungslos es bisher verlief. Ich wusste insgeheim, dass es gut gehen wird. Büsra und ich hatten das grosse Glück, dass wir uns in der Branche so gut auskennen und viel Erfahrung mitbringen», sagt Löwer. Ausserdem hätten sie in der Vergangenheit ein grosses textiles Netzwerk aufgebaut.
Andere frischen Firmengründer können von einer solchen Geschichte nur träumen. Kaum ein Stolperstein oder schlaflose Nächte? «Klar, es kann gut sein, dass wir von einigen Mitbewerbern belächelt oder unterschätzt werden», sagt Cetin. Das sei aber okay. Sie bewegten sich ohnehin lieber im Hintergrund.
Ob das typisch für weibliche Unternehmerinnen sei, nicht auffallen zu wollen? Cetin überlegt kurz und sagt: «Ja, gut möglich. Männer wären vielleicht lauter unterwegs.» Solche Vergleiche fände sie aber unnötig.
Grossteil der Startups in der Schweiz von Männern gegründet
In der Schweiz machten sich 2020 mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen selbstständig. Gemäss einer empirischen Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz und dem Future Preneurship Verlag kommen hierzulande auf jedes von einer Frau gegründete Startup 1.77 Startups dazu, die ein Mann gegründet hat. Besonders in der Schweiz sei der sogenannte «Gender Gap» signifikant.
Ich glaube nicht, dass wir etwas Besonderes sind, nur weil wir zwei Frauen sind.
Co-Partnerin Löwer wird kurz ernst und ergänzt. «Mich stört, dass die Rolle der Frau so stark hervorgehoben wird. Schon allein der Betreff der Anfrage für dieses Gespräch - «Frauen in der Schweizer Textilbranche» - habe ihr zu denken gegeben, gibt sie offen zu. «Büsra und ich haben Circolo gegründet, weil wir eine Leidenschaft für Textilien haben. Ich glaube nicht, dass wir etwas Besonderes sind, nur weil wir zwei Frauen sind.» Aber ja, die Branche sei schon eher männlich.
Weit mehr als am «Frauenthema» stören sich die Unternehmerinnen an der Arbeitshaltung der sogenannten Babyboomer und der nachrückenden Generation in der Textilbranche. So findet Cetin: «Die aktuellen Babyboomer haben zwar noch Leidenschaft, aber nicht alle geben ihr Interesse und ihr Wissen an ihre Nachfolger weiter.» Dabei seien sie ja das beste Beispiel, wie weit man es bringen könne, wenn man Wissen teile!
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