Die Textilbranche ist international ausgerichtet. Als Wirtschaftsraum ist die EU von enormer Bedeutung. Damit die Schweizer Textilbranche Zugang zu Diskussionen und Entscheidungen auf europäischer Ebene hat, ist Swiss Textiles seit vielen Jahren bei Euratex, dem europäischen Interessenvertreter textiler Unternehmen aktiv.
Letzte Woche fand die Euratex Convention statt, wo sich rund 300 Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Mitgliedsländer ausgetauscht und neue Initiativen lanciert haben. Nina Bachmann und Jasmin Schmid erklären, warum die Vernetzung in Brüssel wichtig ist, welche Themen auf der Agenda stehen und was die Euratex Convention für Spuren hinterlassen soll.
Nina Bachmann: Das Hauptthema, das sich durch alle Referate zog, war Nachhaltigkeit, insbesondere Kreislaufwirtschaft. Da die EU die Rücknahme von Textilien zur Pflicht machen wird, müssen hier Lösungen gefunden werden – hier scheinen alle auf Know-how-Transfer angewiesen zu sein. Auch die Datenweitergabe über die Lieferkette und die Digitalisierung der Prozesse waren weitere Schwerpunkte – wobei diese natürlich mit der Kreislaufwirtschaft direkt zusammenhängen.
Jasmin Schmid: Das ist thematisch abhängig. Im Zollbereich trifft die Schweizer Textil- und Bekleidungsbranche häufig auf Schwierigkeiten, die viele EU-Unternehmen nicht haben bzw. von den EU-Unternehmen nur diejenigen betroffen sind, die mit der Schweiz handeln. Der Grund ist folgender: Die Schweiz ist stark in der textilen europäischen Lieferkette eingebettet. Während es innerhalb der EU keine Zollschranken mehr gibt, hat ein Grenzübertritt einer Ware von der EU in die Schweiz (und umgekehrt) stets eine Verzollung zur Folge. Wenn es hingegen um die Bekämpfung von Handelshemmnissen auf Drittmärkten wie zum Beispiel Saudi-Arabien geht, decken sich unsere Anliegen.
Nina Bachmann: In den Nachhaltigkeitsthemen sitzen wir alle im gleichen Boot. Hier ist die Abstimmung mit der EU über die Grenzen hinweg sehr sinnvoll, was zum Glück von beiden Seiten so gesehen wird.
Jasmin Schmid: Wir stehen mit den Mitgliedern von Euratex häufig in Kontakt. Der E-Mail-Austausch findet derzeit mindestens alle zwei Wochen themenbezogen statt. Pro Jahr und pro Gefäss (Vorstand, Direktion, Kommissionen, Arbeitsgruppen) treffen wir uns mindestens zwei Mal physisch oder virtuell. Swiss Textiles tauscht sich zusätzlich rund alle sechs Wochen mit einem Teil der Mitglieder von Euratex aus. Es handelt sich dabei um die Verbände der nordeuropäischen Textil- und Bekleidungsbranche. Sie sind uns in der grossen Mehrheit der Themen gleichgesinnt und unterstützen uns auch bei spezifischen Schweizer Anliegen.
Nina Bachmann: Zum Beispiel konnten wir die Anliegen unserer Mitglieder im Bereich der Chemikalienpolitik via Euratex direkt bei der EU-Kommission eingeben. Die Anliegen wurden aufgenommen. Was nun aber die EU-Kommission daraus macht, bleibt natürlich abzuwarten. Hier läuft es in der EU-Politik nicht anders als in der Schweiz – letztendlich muss ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessensgruppen gefunden werden. Daneben geht es vor allem um den direkten Informationsaustausch – aktuell läuft in der EU mit dem Green Deal unglaublich viel in Sachen Umwelt- und Lieferkettenpolitik. Da hilft uns die Euratex auch, den Überblick zu behalten und das für unsere Branche Wichtige herauszufiltern.
Jasmin Schmid: Für uns resultiert ein privilegierter Zugang zur EU-Kommission, und das als Nichtmitglied. Anders als in der Schweiz sind innerhalb der EU die Wege zwischen Wirtschaft und Verwaltung lang. Euratex ermöglicht uns den direkten Zugang zu den Kontaktpersonen der EU-Kommission. An der letzten Sitzung der Kommission für Handel und Binnenmarkt von Euratex konnten wir zum Beispiel unsere Anliegen zur revidierten PEM-Konvention (unter anderem die ersehnte Durchlässigkeit zwischen den bestehenden und den revidierten PEM-Ursprungsregeln) direkt an die zuständige Person bei der EU-Kommission richten.
Nina Bachmann: Ja. In einer kleinen Runde von Experten wurde die (abnehmende) Qualität von Textilien diskutiert, die in der Textilsammlung zu Schwierigkeiten führt. Es ging vor allem auch um die etwas technische Frage, wie die Qualität von Textilien gemessen werden kann. Es zeigte sich, dass bei vielen Verbänden ältere Dokumente liegen, in welchen Qualitätskriterien festgehalten worden sind. Diese sind zwar veraltet, werden aber von den Unternehmen nach wie vor stark nachgefragt. Es kam der Wunsch auf, dass einheitliche Kriterien geschaffen werden sollten. Letztlich braucht es eine solche Standardisierung, um den Begriff der Langlebigkeit, der in der Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle spielen wird, einheitlich zu verwenden. Das Thema wird nun am nächsten Meeting der Euratex aufgenommen und erstmals diskutiert. Wichtig wird sein, durch eine solche Standardisierung keine Testkosten für KMU zu generieren. Wir werden sehen, was es hier für eine Lösung gibt.
Euratex – European Apparel and Textile Confederation
Die Textil- und Bekleidungsindustrie der EU mit ihren rund 171ʾ000 Unternehmen und 1,7 Millionen Beschäftigten ist in vielen EU-Regionen eine wichtige Säule der lokalen Wirtschaft. Mit einem Exportvolumen von über 50 Milliarden Euro ist die Branche ein Global Player, der erfolgreich Produkte mit hohem Mehrwert auf wachsenden Märkten in aller Welt vertreibt. Euratex setzt sich ein für optimale Bedingungen in der EU für Design, Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Textil- und Bekleidungsprodukten. In Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen und anderen europäischen und internationalen Akteuren konzentriert sich Euratex auf klare Prioritäten: eine ehrgeizige Industriepolitik, wirksame Forschung, Innovation und Kompetenzentwicklung, freier und fairer Handel sowie nachhaltige Lieferketten.
Über 30 nationale Branchenverbände sind Mitglied von Euratex. An der Euratex Convention vom 8./9. November 2021 nahmen rund 300 Personen teil.
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