Peter Flückiger — 07.11.2024

Gestern hat ein weiterer Schweizer Textilbetrieb, die Schoeller Textil AG in Sevelen, das Konsultationsverfahren eingeleitet. Er plant, voraussichtlich gegen Ende 2025 den Produktionsbetrieb in der Schweiz einzustellen. Rund 170 Arbeitsplätze sind betroffen. Swiss Textiles nimmt dies mit grossem Bedauern und Sorge zur Kenntnis.

In den letzten zwölf Monaten haben diverse Betriebe der Textilindustrie ihre Produktion aufgeben oder einen Stellenabbau ankündigen müssen. Die Wege in der Schweiz sind kurz, die textile Wertschöpfungskette auf viele verschiedene Firmen aufgeteilt. Plant eine Firma ihre Geschäftstätigkeit am Standort Schweiz aufzugeben, hat das nicht selten Konsequenzen für andere, vor- oder nachgelagerte Betriebe in der textilen Kette.

Probleme kumulieren sich

In den letzten Monaten kumulierten sich strukturelle und konjunkturelle Probleme:

  • 1. Währung: Der Wechselkurs CHF/Euro hat sich in den letzten vor Jahren von 1.25 auf 0.94 verändert. Rund Dreiviertel unserer Produkte werden exportiert, ein Grossteil davon in die EU. Das heisst unsere Ausfuhren haben sich für unsere europäischen Kunden im selben Mass verteuert.
  • 2. Kosten: Die Produktionskosten am Standort Schweiz sind massiv teurer als im Ausland und weiter angestiegen. Die durchschnittlichen Arbeitskosten pro Stunde in der verarbeitenden Industrie betragen in der Schweiz mit 57 Euro doppelt soviel wie im EU-Durchschnitt (28 Euro) und etwa das Vierfache von Portugal oder Osteuropa. Die Energiekosten in der Schweiz sind seit 2019 massiv angestiegen, bei Gas beispielsweise + 50 Prozent. Energiekosten können in produzierenden Betrieben schnell eine halbe Million Franken oder mehr betragen.
  • 3. Einbruch der Nachfrage: Die wirtschaftlichen Probleme in wichtigen Absatzmärkten mindern die Kaufkraft für qualitativ hochstehende Schweizer Textilien. Die Lager sind aktuell (zu) voll und Bestellungen bleiben aus. Hochwertige Vorprodukte werden durch minderwertige und günstige substituiert.
  • 4. Bürokratie: Die regulatorischen Vorschriften in der Schweiz und in der EU verursachen Kosten. Sei es die Einhaltung der CSR-Gesetzgebung, die administrativen, personellen und Auditierungs-Aufwand verursacht, seien es die Sozialkosten oder die erodierenden bilateralen Verträge.
  • 5. Globale Unsicherheit: Aufgrund der Kriege und Konflikte in der Ukraine und Israel sowie einer angespannten Situation zwischen China und den USA ist die Welt von Unsicherheit geprägt. Die Staaten schotten sich zunehmend ab. Für eine so globalisierte Branche wie unsere ist das Gift.

Damit nicht noch weitere Arbeitsplätze verschwinden, fordert Swiss Textiles vor allem politisch gute Rahmenbedingungen:

  • 1. Bilaterale III: «Ein hindernisfreier Zugang zum Binnenmarkt, Personenfreizügigkeit, Zusammenarbeit im Forschungsbereich und Stabilität in der Energieversorgung sind für uns überlebenswichtig», sagt Peter Flückiger, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Swiss Textiles. Die momentane Erosion schadet der Branche und schwächt den Produktionsstandort Schweiz. Die Bilateralen III müssten so schnell wie möglich unterzeichnet werden, damit die Beziehungen zur EU wieder normalisiert werden könnten.
  • 2. Staat: Die Ausgaben des Staates und die Bürokratie wachsen stetig. Darüber hinaus konkurrenziert die öffentliche Hand die Privatwirtschaft bei Fachkräften. Hier gilt es endlich Reformen einzuleiten. Es leiden vor allem die KMUs.
  • 3. Franken. Eine Stabilisierung der Wechselkurse ist dringend notwendig, um eine weitere Schlechterstellung der Schweizer Wirtschaft zu verhindern. Die SNB soll den bestehenden Spielraum zugunsten der Exportindustrie nutzen.
  • 4. Deregulierung: Die Reporting- und Datenlieferungspflicht in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung nimmt stark zu. Auch die unterschiedliche Handhabung von Abwasser-, Umwelt-, Bau- Lärmvorschriften durch die Gemeinden belasten die KMUs. Eine Deregulierung tut Not.
  • 5. Gleich lange Spiesse: Wir brauchen Marktzugang beim Import und Export. Nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt beispielsweise mittels Freihandelsabkommen wie mit Indien oder den geplanten mit Thailand oder MERCOSUR. Umgekehrt kann es aber nicht sein, dass ausländische Onlinehändler keine MWST bezahlen oder die Produktesicherheit umgehen können.

Peter Flückiger

Schreitet die Deindustrialisierung aber weiter voran, werden in Zukunft Innovationen zunehmend schwierig.

Branche verändert sich und wird es weiter tun

Die Textilbranche verschwindet nicht, sondern sie hat sich massiv verändert und wird sich weiter verändern. Am Standort Schweiz erfolgt die Wertschöpfung zunehmend durch Forschung, Entwicklung, Design, Logistik. Es werden nur noch absolute Spezialitäten etwa für die Medizinaltechnik oder die Transportbranche oder aber Muster hergestellt. Die industrielle Produktion im grossen Stil erfolgt nicht mehr in der Schweiz. Gerade auch bei Spezialitäten zeigt sich vor allem in den letzten Jahren, dass die ausländische Konkurrenz massiv aufgeholt hat und Schweizer Firmen unter Druck geraten (siehe Ursachen).

«Heute steht die Schweizer Textilbranche in der Forschung- und Entwicklung gut da. Das zeigt sich auch exemplarisch an den vielen Forschungsprojekten, die gestern am Innovation Day 2024 gezeigt wurden. Schreitet die Deindustrialisierung aber weiter voran, werden in Zukunft Innovationen zunehmend schwierig», so Flückiger.

Verändert hat sich auch die Zusammensetzung der Mitglieder von Swiss Textiles. Trotz schwieriger wirtschaftlicher Situation ist der Verband die letzten beiden Jahre um rund je 10 Prozent und damit so stark gewachsen wie noch nie. Die über 20 neuen Mitglieder pro Jahr sind Firmen, die neue Fasern oder Methoden zum Recycling entwickeln oder Brands, die in der Schweiz das Design und die Logistik steuern, aber im Ausland produzieren lassen. Beispiele sind das Kooperationsprojekt von Säntis Textil AG mit Tell-Tex AG für den Aufbau eines Recyclinghubs in der Schweiz, ETH Startup Labwear Studios für effiziente Produktion, Climatex AG mit einem innovativen Technologiekonzept für Trennbare Materialien usw.

Swiss Textiles feiert dieses Jahr sein 150-jähriges Jubiläum. Wie kaum eine andere Branche hat sich die Textilbranche verändert und wird sich weiter verändern. «Als Branchenverband werden wir uns weiterhin für die Interessen aller unserer Mitglieder einsetzen und sie aktiv in diesem Wandel begleiten», versichert Flückiger.

Auskünfte

Peter Flückiger

Peter Flückiger

Vorsitzender der Geschäftsleitung
T: +41 44 289 79 31
peter.flueckiger@swisstextiles.ch

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