In der Schweiz wird der Grossteil der Startups von Männern gegründet. Swiss Textiles sprach mit einer der wenigen Frauen in der Textilbranche, die sich mit «Swijin» selbstständig gemacht hat. Claudia Glass hat sich auf nahtlose Sportunterwäsche für die sogenannten Swimrunnerinnen spezialisiert. Hosen und Sport-BHs, die sich sowohl für den Lauf- als auch Wassersport eignen.
Vor exakt zwei Monaten feierte der Hollywood-Streifen «Barbie» in der Deutschschweiz Premiere. Die erste Begeisterungs- oder Kritikwelle – je nach dem auf welcher Seite man steht – ist inzwischen abgeebbt. Doch das Thema könnte aktueller nicht sein. Es ist ein gesellschaftliches.
«Frauenquote», «Gender Gap», «Rollenbilder» – diese Begriffe haben in den vergangenen Jahren neuen Aufwind erhalten. Sowohl in den Familien genauso wie in der Wirtschaft. Wie sieht es in der Start-up-Szene aus?
Gemäss einer empirischen Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz und dem Future Preneurship Verlag aus dem Jahr 2020 kommen hierzulande auf jedes von einer Frau gegründete Startup 1.77 Startups dazu, die ein Mann gegründet hat. Besonders in der Schweiz sei der sogenannte «Gender Gap» signifikant. Mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen machten sich selbstständig.
Eine dieser von einer Frau gegründeten Startups heisst «Swijin» («Suidschin» ausgesprochen) mit Hauptsitz in St. Gallen. Der Nischenanbieter verkauft spezielle Sportunterwäsche und Fahrradshorts, die sich sowohl fürs Schwimmen als auch Laufen eignen. Ohne Nähte, alltagstauglich und aus einem Material, das verspricht, im Handumdrehen zu trocknen. Konzipiert für Swimrunnerinnen. Das sind Teilnehmerinnen an einer noch jungen Ausdauersportart bestehend aus Schwimmen und Joggen. Die Kleidung wird auch während des Wechsels vom Wasser aufs Land und umgekehrt anbehalten.
Das Leben als Firmengründerin lässt mir absolut keine Minute Ruhe. Du musst dich voll reinknien, sonst geht’s nicht.
Hinter Swijin, dessen japanischer Name sich an die Shinto Göttin des sauberen Wassers «Suijin» anlehnt, steckt Claudia Glass. Die Tochter eines Deutschen und einer Amerikanerin studierte Literaturwissenschaften und Demokratiepädagogik in Washington DC und Berlin. Heute lebt sie mit ihrem Mann, ihrer Tochter Lilli, ihrem Sohn Adrian – beide im Teenageralter – und ihrem Appenzeller Sennenhund Carlo in Horgen.
«Mein Familienleben hält mich auf Trab», sagt sie mit einem Lächeln. «Das Leben als Firmengründerin lässt mir absolut keine Minute Ruhe. Du musst dich voll reinknien, sonst geht’s nicht». Manchmal frage sie sich schon, wie das andere schafften, gibt sie unumwunden zu. Insofern seien ihre Produkte eine Art Metapher für ihr Startup: «In meiner Disziplin wie auch im Sport braucht es Ausdauer. Du stösst immer wieder an deine Grenzen.»
In meiner Disziplin wie auch im Sport braucht es Ausdauer. Du stösst immer wieder an deine Grenzen.
Vor ihrer Firmengründung unterrichtete sie lange Zeit Englisch an der Zurich International School im zürcherischen Adliswil, einer englischsprachigen Privatschule. Dazwischen arbeitete sie immer wieder einmal in internationalen Unternehmen. Doch die Pädagogik liess sie nie los. Sie kehrte zurück ins Klassenzimmer. «Obwohl mir der Schulleiter immer wieder sagte, dass er in mir Leadership-Qualitäten sah, wollte ich nie eine typische Chefin werden. Hierarchien sind weniger mein Ding», sagt Glass mit einem leichten amerikanischen Akzent. Sie sehe sich vielmehr im Hintergrund, als Mentorin, wie sie es bereits als Lehrerin war.
Vor zwei Jahren tauschte sie Schulbücher dann endgültig gegen einen Businessplan und tauchte in die Welt der technischen Textilien ein. Der Gedanke, sich selbstständig zu machen, habe sie während ihrer gesamten Karriere fasziniert.
Ich wollte nie eine typische Chefin werden. Hierarchien sind weniger mein Ding.
Schon als Mädchen mochte Claudia Glass Projektarbeit: Aufgaben haben und Schritt für Schritt umsetzen. «Ich habe das geliebt», sagt sie. Bis heute blühe sie darin richtig auf. Ihr Startup sei also nichts anderes als ein weiteres Projekt. «Das treibt mich an.»
Claudia Glass ist aufgeweckt, benutzt ihre Hände zum Sprechen, ändert oft die Sitzposition und lacht immer wieder. Beim Sprechen wechselt sie manchmal ins Amerikanische.
Mit Sport-BHs habe sie sich den «Mount Everest» in der Bekleidung ausgesucht, wie sie sagt. «Es ist unglaublich kompliziert und aufwendig, ein richtig gutes Produkt zu konzipieren.» Unzählige Anforderungen müssten erfüllt sein: starker Halt, richtige Passform und bequem, sodass keine Druck- oder Reibstellen entstehen, schnell trocknend, atmungsaktiv, die Liste geht noch weiter.
«Gibt ein BH starken Halt, ist er nicht bequem oder sieht nicht so alltagstauglich und stylish aus», sagt sie. Das sei auch die Idee dahinter gewesen. Sie habe ein Teil gewollt, das alles vereine – die Quadratur des Kreises, wie sie mal in einem Interview sagte. Unterstützung bekommt sie von der Textilspezialistin Sahar Ebrahimi und der Chefdesignerin Valeria Cereda. Die ehemalige Spitzenschwimmerin sitzt in Mailand und bringt Erfahrungen aus der Luxusbranche mit.
Ich weiss, dass Frauen noch im Rückstand sind, das ist problematisch.
Die Idee kam Glass während ihrer Ferien in Mallorca, als sie nach dem Joggen noch im Meer schwimmen wollte, aber keine passende Kleidung dabei hatte. 2020 setzte sie diese während eines Innosuisse-Projekts mit der Empa um und arbeitete mit der Abteilung für biomimetische Membranen und Textilien zusammen. Auch heute besteht das Team aus Triathleten, Profi-Swimrunnern, Ingenieuren, Physiologen, Designern und Textilherstellern. Die Produkte orientieren sich zwar an Spitzensportlerinnen, kann aber von allen getragen werden.
Angesprochen auf die Männerdomäne in der Schweizer Startup-Landschaft sagt Glass: «Ich weiss, dass Frauen noch im Rückstand sind, das ist problematisch». Sie selbst habe sich aber Männern gegenüber noch nie benachteiligt gefühlt. «Im Gegenteil, sie haben mich unterstützt. Einer meiner wichtigsten Mentoren, wenn es um technische Textilien geht, ist der Textilunternehmer Peter Eschler», sagt sie und überlegt kurz. Vielleicht habe es ja mit der Kultur in der Schweiz zu tun – an der Gesprächskultur. Wenn sie sich mit Männern unterhalte, liesse man sie ausreden. «In den USA weht ein anderer Wind. Da habe ich andere Erfahrungen gemacht», erzählt sie. Auch zweideutige Bemerkungen gehörten dazu – auch wenn sie diese noch als junge Mitarbeiterin erlebt habe.
Meine Erfahrung hat gezeigt, dass die meisten Puppen auf Männer ausgerichtet sind. Das fand ich in meinem Fall sehr unpraktisch.
Claudia Glass sieht ihr Startup nicht als feministisch. Auch wenn der Eindruck auf den ersten Blick entstehen könnte, wenn man ihre Webseite besucht: «Swijin fordert alle Frauen auf, ihre Superpower zu aktivieren», ist da etwa zu lesen. Sie will auch nicht in diese Ecke gedrängt werden. Ihre Überlegung hinter der klaren Ausrichtung an Damen sei rein strategisch, praktisch gewesen. «Als Frau weiss ich einfach genau, was Frauen im Sport brauchen. Was sie vermissen, was sie stört.» Von Frau zu Frau sozusagen.
Das sei übrigens auch ein Grund, weshalb ihr Team für ihre Sport-BHs einen Testdummy mit einem weiblichen Körperbau habe. Dazu gehörten auch Silikonpads in diversen Grössen, die die weibliche Brust imitieren. «Meine Erfahrung hat gezeigt, dass die meisten Puppen auf Herren ausgerichtet sind. Das fand ich in meinem Fall sehr unpraktisch.
Ich weiss aber auch, dass auch Fussballer das unangenehme Gefühl reibender Kleidung auf der Haut kennen. Etwa bei sehr sensiblen Brustwarzen.» Insofern könne es durchaus sein, dass sie ihre Produkte einst auch für Männer anbieten werde.
Was sie den anderen Frauen in einer ähnlichen Lage empfehle? «Was ich allen rate, egal, ob Frau oder Mann. Erstens: Knüpfe Kontakte und scheue das direkte Gespräch nicht! Es ist überraschend, wie grosszügig und hilfreich Menschen sind. Und zweitens: Lass dich nicht einschüchtern.»
Eine weitere Inspirationsquelle ist für Glass Catarina Dahlin. Die Mitgründerin des Nachtwäscheherstellers Dagsmejan. Ende Juni hat sie das Finale des internationalen Wettbewerbs «Founder of the Year Medium Size Companie» erreicht. «Ich schätze Catarina sehr, weil sie trotz ihres Erfolgs immer noch hautnah im Geschäft ist». Von ihr stamme auch das Zitat: «Die Zeit während der Gründung ist kein Marathon, es ist ein Lifestyle.» Daran hält sich Glass noch immer.
Aktuell arbeitet der Nischenanbieter einem neuen Projekt: An einem Sport-BH, der nur fürs Laufen gedacht ist – «dem Rolls Royce der BHs», wie Glass ihn nennt: «Das Aussergewöhnliche an ihm ist nicht nur, dass wir wieder mit einer Textilingenieurin der EMPA zusammengearbeitet haben, sondern dass wir ihn auch ihn der Körbchengrösse D und aufwärts anbieten werden». Qualitativ hochstehende Produkte in grossen Grössen seien aktuell noch Mangelware.
Ob Glass den «Barbie»-Film gesehen habe? «Ja, sogar zweimal! Mit meinen Kindern und mit meinen Eltern», antwortet sie lachend. Nach einer Weile fügt sie hinzu: «Ich finde ihn brillant umgesetzt!»
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