Adriana Zilic und Nina Bachmann — 23.07.2024

Der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft ist für viele Textil- und Bekleidungsunternehmen in der Schweiz nicht ganz einfach. Zwar entwickelt die Branche neue, nachhaltigere Materialen, Produkte und Geschäftsmodelle. Eine branchenweite Recyclinglösung, wie sie andere kennen, fehlt bislang. Jetzt suchen Unternehmen unter Swiss Textiles gemeinsam einen Weg.

Im März 2022 veröffentlichte die EU ihre neue Textilstrategie, mit der sie die Hersteller stärker in die Pflicht nimmt. So sollen sie ihre Verantwortung künftig entlang der gesamten Wertschöpfungskette wahrnehmen. Demnach sind Unternehmen, die das Produkt hergestellt oder auf den Markt gebracht haben, künftig auch nach dem Verkauf für ihre Materialien zuständig. Zusammengefasst ist die sogenannte Extended Producer Responsibility (EPR) im Abfallrecht.

Nina Bachmann

Ein solches System kann auch bei Textilien funktionieren und würde es den Unternehmen massiv vereinfachen, kreislauffähig zu werden.

Menge, Materialqualität und Kosten selbst steuern

Liesse sich eine erweiterte Herstellerverantwortung, wie sie die EU verlangt, auch für die Schweizer Textilbranche anwenden? Und wie würde diese aussehen?

Bei Swiss Textiles ist man davon überzeugt: «Ein solches System kann auch bei Textilien funktionieren und würde es den Unternehmen massiv vereinfachen, kreislauffähig zu werden», sagt dessen Nachhaltigkeitsexpertin Nina Bachmann.

Der Schweizer Branchenverband und eine Gruppe aus privaten Unternehmen, Organisationen und Vertretern aus der Politik suchen nun nach Wegen. Ziel ist eine freiwillige Branchenlösung, wie sie andere Branchen bereits kennen. Der gesamte Prozess soll gemeinsam finanziert und zentral geregelt werden: von der Rücknahme, Sortierung über Wiederverwendung bis hin zur Reparatur der textilen Materialien am Schweizer Markt. Dafür müsste die Branche das System tragen und es schweizweit einheitlich ausgestalten.

In der Schweiz kennen beispielsweise die Branchen der elektrischen oder elektronischen Geräte und der PET-Getränkeflaschen ein solches System.

Swiss Textiles zufolge könnte man mit Sammel- und Recyclingorganisationen zusammenzuarbeiten, die bereits auf dem Markt sind. Beispielsweise mit potentiellen Abnehmern von recycelten Fasern. Beiträge liessen sich mit einer vorgezogenen Finanzierung erheben. Dies soll die Sammelmengen und Investitionssicherheit erhöhen – etwa für neue Recyclinganlagen – und sicherstellen, dass die Beiträge möglichst sinnvoll eingesetzt würden.

Getränkeflaschen und Geräte machen es vor

In der Schweiz kennen beispielsweise die Branchen der elektrischen oder elektronischen Geräte und der PET-Getränkeflaschen ein solches System. Ihre Unternehmen haben die Rücknahme, Sortierung und Wiederverwertung der Materialien gemeinsam geregelt und finanziert. Eine Recyclinggebühr ist bereits im Kaufpreis des Produkts enthalten.

Das neu revidierte Umweltschutzgesetz stärkt Branchenorganisationen in Zukunft sogar, da der Bund einzelne Marktteilnehmer, die nicht mitziehen, verpflichten kann.

In beiden Fällen besteht eine freiwilligen Branchenlösung, die den Prozess organisiert und finanziert. Die Marktbeteiligten teilen sich die Kosten untereinander auf. Das neu revidierte Umweltschutzgesetz stärkt Branchenorganisationen in Zukunft sogar, da der Bund einzelne Marktteilnehmer, die nicht mitziehen, verpflichten kann.

So besteht etwa seit der Gründung des Vereins PRS PET Schweiz 1990 ein landesweites Entsorgungsnetz für Getränkeflaschen aus Plastik. Ähnlich siehts bei defekten Staubsaugern oder Küchengeräten aus: Hersteller, Importeure und Händler müssen ausgediente Produkte, die sie im Sortiment führen, kostenlos zurücknehmen. Dies regelt die Verordnung über Rückgabe, Rücknahme sowie Entsorgung von elektrischen und elektronischen Geräten.

Die Branche nähme die Angelegenheit in die Hand, statt sie dem Bund zu überlassen.

Mehr Macht für Unternehmen

Eine branchenweite Lösung hätte mehrere Vorteile, ist sich Swiss Textiles sicher. Zu den offensichtlichsten zählen für den Verband die zentrale Anlaufstelle, die Kreisläufe und Kommunikation regelt und die Tatsache, dass die Beiträge ans System untereinander aufgeteilt würden.

Ausserdem nähme die Branche die Angelegenheit in die Hand, statt sie dem Bund zu überlassen und Restriktionen aufgebrummt zu bekommen. Sie könnte mitbestimmen und selbst Anreize setzen, da sie vorgebe, welche Materialien auf den Markt kämen und wie viel davon in den Sammelcontainern landeten. Und so dem textilen Kreislauf wieder zugeführt würden. Qualität und Menge der Materialien stiegen und das Recycling würde längerfristig günstiger. Textilien, die einfach zu recyclen sind, würden so mit tieferen Beiträgen belohnt.

Mehr Daten sollen Recycling effizienter machen

Zum anderen verspricht sich die Branche dadurch wertvolle Recyclingdaten, da diese von den Unternehmen direkt kämen, die selbst an der Lösung beteiligt sind: «Menge, Verwertung, Qualität, Zusammensetzung oder Destination würden ersichtlich», sagt Nina Bachmann von Swiss Textiles. Das Design der Materialien liesse sich künftig so gestalten, dass sie zunehmend zirkulär würden. Das vereinfacht das Recycling, macht es effizienter und senkt die Kosten zusätzlich.

Mit der EU harmonisieren

Von der gemeinsamen Branchenlösung wäre es nicht mehr weit bis zur Einrichtung einer erweiterten Produzentenverantwortung in der Schweiz. Die EPR liesse sich mit jener der EU harmonisieren.

Im Laufe der nächsten Monate sollen weitere Partner aus der Branche und der Politik an Bord geholt werden, um das Projekt voranzutreiben.

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