Adriana Zilic — 06.07.2024

Worauf dribbeln, kicken und scoren Profis? Während der EM 2024 finden wir heraus, wie künstliche Fussballrasen hergestellt werden. Swiss Textiles besuchte neulich Tisca Tischhauser in Urnäsch und sprach mit Managing Director Andreas Tischhauser über heilige Rasen, Christbäume und darüber, was textile Fasern mit ihnen am Hut haben.

«Ein Fussballrasen wird ohne Ende malträtiert». Andreas Tischhauser steht im Showroom seines Unternehmens Tisca Tischhauser und hält ein quadratisches Stück grünen Rasens in seiner Hand. Man muss zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass er nicht echt ist.

Hier in Urnäsch produziert und entwickelt das 1940 gegründete Familienunternehmen einen Teil seiner Textilien für den Wohnbereich, für Spitäler, Büros, Züge oder Sportflächen. Dazu gehören auch Kunstrasen für Gärten und im Sport. Daneben führt es Niederlassungen in Deutschland, Frankreich, Italien sowie in den USA.

Andreas Tischhauser

Man seht es ihnen zwar nicht an, aber künstliche Fussballrasen sind technisch extrem anspruchsvoll.

Im Reich der künstlichen Fussballrasen

Image00001

Andreas Tischhauser: «Natürlich fiebere ich mit der Fussballnati mit.»

Andreas Tischhauser: «Natürlich fiebere ich mit der Fussballnati mit.»

Image00006

Von «heiligen Rasen» und der «Hand Gottes»: die beiden Spitzensportler Diego Maradona (l.) und Usain Bolt auf einem künstlichen Fussballrasen von Tisca.

Von «heiligen Rasen» und der «Hand Gottes»: die beiden Spitzensportler Diego Maradona (l.) und Usain Bolt auf einem künstlichen Fussballrasen von Tisca.

Image00037

Sichtlich stolz: Andreas Tischhauser vor einem Poster von Tottenhams Fussballstadium, wo sich Tiscas Fussballrasen befinden.

Sichtlich stolz: Andreas Tischhauser vor einem Poster von Tottenhams Fussballstadium, wo sich Tiscas Fussballrasen befinden.

Image00002

Im Showroom von Tisca Tischhauser: Jedem Sport sein Rasen – von Golf, über Hockey und Tennis bis hin zu Fussball.

Im Showroom von Tisca Tischhauser: Jedem Sport sein Rasen – von Golf, über Hockey und Tennis bis hin zu Fussball.

Image00005

Wegen des schlechten Wetters konnte die Produktion erst im Mai statt wie üblich im März loslegen.

Wegen des schlechten Wetters konnte die Produktion erst im Mai statt wie üblich im März loslegen.

Image00003

Frisch hergestellt: Die grüne Fläche wird demnächst dem Auftraggeber nach England geliefert.

Frisch hergestellt: Die grüne Fläche wird demnächst dem Auftraggeber nach England geliefert.

Image00004

Normgerecht kicken

«Man seht es ihnen zwar nicht an, aber künstliche Fussballrasen sind technisch extrem anspruchsvoll», erklärt der Managing Director. Während qualitativ gute Kunstrasen nicht nur dimensions- sowie UV-stabil, wasserdurchlässig und hitzebeständig sein und obendrein naturecht aussehen müssten, hätten Fussballrasen zudem eine ganze Reihe von Normen einzuhalten. Etwa zum sogenannten Ballrollverhalten, Ball-Rebound, Drehwiderstand oder zur gelenkschonenden Wirkung des Spielers.

Die Normen variieren je nach Auftraggeber wie Verbände, Vereine oder Clubs: Zum Ballrollverhalten zählt das Tempo des Balls auf dem Rasen. Der Ballrebound gibt wiederum an, wie hoch er vom Boden aufprallen darf. Der Drehwiderstand schreibt vor, wie leicht sich der Schuh des Spielers auf der Oberfläche drehen darf. Und die gelenkschonende Wirkung muss den Kraftabbau berücksichtigen. Der Rasen darf nicht zu hart, aber auch nicht zu weich sein. Verschiedene Test zeigen schliesslich, wie strapazierfähig der Kunstrasen ist und ob er die Normen einhält. In der Regel ein Fussballrasen etwas über 7’000 Quadratmeter.

Andreas Tischhauser

Wir beliefern FC Arsenal oder Tottenham mit unserem Kunstrasen.

.

Die Produktion hätte bereits im März beginnen sollen.

Während die EM in vollem Gange ist, arbeiten die Maschinen in der Produktion von Tisca auf Hochtouren. Im Frühling und Sommer sind ihre Sportrasen heissbegehrt. Im Fussball ganz besonders. Vereine in der Schweiz und im Ausland bestellen sie. Eigentlich hätte die Produktion schon im März beginnen sollen. Doch der Anpfiff fiel dieses Jahr wegen des schlechten Wetters erst Ende Mai.

Ganz nahe an den «heiligen Rasen»

Die ganz grossen Clubs setzen natürlich auf echte Rasen in ihren Stadien. Die «heiligen Rasen». Die Umrandung des Naturrasen indes besteht immer häufiger aus Kunstrasen. «Wir beliefern zum Beispiel FC Arsenal oder Tottenham mit unserem Kunstrasen für ihre Fussballstadien in London», sagt Tischhauser sichtlich stolz und fügt hinzu: «Ich war schon mehrmals vor Ort und habe mir unsere Arbeit angeschaut, aber den echten Rasen durfte ich dennoch nie betreten.»

Köbi Kuhn war Markenbotschafter

Das Unternehmen stieg 2005 ins Sportrasengeschäft ein. «Ein Jahr später haben wir gemeinsam mit Köbi National unseren ersten Kunstrasen eingeführt. Rechtzeitig zur EM in Deutschland», erzählt Tischhauser und verweist abermals auf das Stück Kunstrasen. Marketingtechnisch ein Glückstreffer. Wirklich weit kam die Schweizer Nati trotzdem nicht. Seither habe sich einiges verändert. Bei der Mannschaft und bei ihnen. Zum Beispiel stellt das Unternehmen seine Kunstrasen ohne PFAS her.

Die sogenannten ewigen Chemikalien sorgen dafür, dass Belage hitzeresistent, schmutz-, fett- und wasserabweisend bleiben. Ausserdem verleihen sie dem Produkt dessen Form. Da sie aber gesundheits- und umweltschädliche Stoffe enthalten, verzichten immer mehr Hersteller auf sie. Allerdings gibt es noch nicht für alle Industrien naturschonende Alternativen mit gleicher Leistung.

Andreas Tischhauser

Eines der Geheimnisse unserer Fussballrasen liegt im Rücken.

«Langlebigkeit grössten Einfluss auf Nachhaltigkeit»

Die Textil- und Bekleidungsbranche gerät weltweit zunehmend unter gesellschaftlichen und politischen Druck. Zum einen werden verlässliche Recyclingmethoden gefordert, zum anderen ökologisch und sozial nachhaltig hergestellt Produkte. Angesprochen auf das Dauerbrenner-Thema Kreislaufwirtschaft erwidert Tischhauser: «Wir glauben, dass die Langlebigkeit eines Produkts den grössten Einfluss auf Nachhaltigkeit hat.» Ihre Produkte würden mindestens zehn Jahre halten.

Andreas Tischhauser

Einer seiner Kunden habe als Scherz sogar einmal einen Christbaum aus den Resten seines Rasens machen lassen.

Mit und ohne Füllung

«Eines der Geheimnisse unserer Fussballrasen liegt im Rücken, in dem die Fasern verankert sind», erzählt Tischhauser. Mehr könne er aber nicht verraten und verweist stattdessen auf zwei kleine quadratische Kunstrasenflächen in einem offenen Schubladenfach. Sie sehen identisch aus. Bei genauerem Hinschauen fallen bei einem kleine, braune Kügelchen zwischen den Halmen auf. «Das ist Gummigranulat», erklärt er. «Andere Hersteller verwenden auch Sand oder eine Kombination aus Sand und Gummi. Oder sogenannte organische Füllstoffe.»

Diese sorgten dafür, dass die Fasern geradestünden. «Das Problem ist aber, dass beide Füllmaterialien nicht umweltschonend sind, im Gegenteil». Ihre seien daher unverfüllt und enthielten damit keine Giftstoffe, erfüllten aber trotzdem die wichtigen Bedingungen.

Andreas Tischhauser

In den allermeisten Fällen werden sie als Rasen für Kinderspielplätze eingesetzt.

Auf die Bemerkung hin, wonach ihre Kunstrasen aus Plastik und daher dennoch bedenklich für die Umwelt seien, meint Tischhauser: «Das stimmt, unsere Kunstrasen sind zwar aus Plastik, aber nach ihrem Einsatz auf dem Spielfeld lassen sie sich problemlos zweitverwerten. In den allermeisten Fällen werden sie als Rasen für Kinderspielplätze eingesetzt.» Er zeigt auf eine Vitrine, in der eine kleine ausgeschnittene Kunstrasenfläche ausgestellt ist. Deren Halme stehen in verschiedene Richtungen ab, das Material schient ansonsten aber intakt zu sein.

Aus Kunstrasen werden Häuser gebaut

Haben sie auch auf den Spielplätzen einmal ausgedient, werden die Rasen gemäss Tischhauser wie die Wolle eines Schafs geschoren. Die geschorenen Fasern werden anschliessend geschreddert und in ihre materiellen Bestandteile zerlegt.

Der Rücken des Rasens zum Beispiel landet im Zementwerk. «Es kann darum gut sein, dass die Häuser in der Schweiz einmal Teile unserer Kunstrasen enthalten», sagt Tischhauser und schmunzelt.

Aus dem brauchbaren Polyethylen, einem Kunststoff, entstünden Hockeybälle. Das Polyamid werde einem neuen Kreislauf zugeführt. Daraus könnten wieder neue Teppiche oder Rasen entstehen. Einer seiner Kunden habe als Scherz sogar einmal einen Christbaum aus den Resten seines Rasens machen lassen.

«Habe mit der Fussballnati mitgefiebert»

Auch wenn Andreas Tischhauser vor allem um die Produktion und die rechtzeitigen Auslieferung seiner Fussballrasen besorgt ist, liess auch ihn das Spiel am letzten Samstag nicht kalt: «Natürlich habe ich mit der Fussballnati mitgefiebert», gibt er zu. Derweil seine Maschinen hier in Urnäsch fleissig weiterrattern, sind Murat Yakins Spieler nach dem Aus wieder zuhause in der Schweiz. Vermutlich haben sie sich über den Rasen unter ihren Füssen weitaus weniger Gedanken gemacht.

Diskutieren Sie mit

Um zu kommentieren, müssen Sie ein registriertes Mitglied sein

Artikel zum Thema