Adriana Zilic — 05.01.2023

Wer macht sich schon Gedanken über Alltägliches wie Putzlappen, Stoffbezüge oder Frottierwäsche? Und das, obwohl uns Textilien überall umgeben. Vier überraschende Beispiele, die zeigen, wie unterschätzt das Material ist.

Wir begegnen Textilien überall, ohne dass es uns auffällt. Morgens vor dem Kleiderschrank, im Grossraumbüro mit seinem schalldämmenden Teppich und seinen gepolsterten, ergonomischen Stühlen, abends beim Chillen auf dem weichen Sofa.

Die Textilbranche ist ein wichtiger Wirtschaftszweig hierzulande. Über 1’000 Unternehmen sind im Grosshandel von Textilien und Bekleidung tätig. Sie beschäftigen fast 7'500 Menschen. Das verarbeitende Gewerbe umfasst rund 2'500 Firmen. Knapp 10'000 ihrer Angestellten entwickeln und produzieren Textilien und Kleider (Stand 2019 BfS). Den Grossteil davon exportiert die Schweiz nach Deutschland und in andere Staaten der EU.

Darunter befinden sich auch regelrechte Pionierleistungen, die weniger bekannt sind. Oder haben Sie schon einmal von einem textilen Herz gehört? Von einem Spezialgürtel fürs Weltall? Nein? Die nachfolgenden Beispiele zeigen, wie vielseitig Textil ist.

Den Körper täuschen

Im gemeinsamen Forschungsprojekt Zurich Heart entwickeln diverse Wissenschaftler seit Jahren künstliche Herzpumpen weiter. Sie sollen dereinst Spenderherzen ersetzen. Aktuell steht die Medizin vor dem Problem, dass künstliche Herzpumpen zu Blutgerinnseln führen können. Etwa dann, wenn das Blut mit körperfremdem Material in Berührung kommt.

Abhilfe schaffen soll nun ein textiles Herz. Die Mitarbeitenden der Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) tüfteln an einer Membran, die wie eine Bienenwabe beschaffen ist: In den aneinandergereihten Sechsecken können sich die Zellen optimal einnisten. Natürliche Blutgefässe – unter anderem das Herz – sind auf der Innenseite mit sogenannten Endothelzellen ausgekleidet. Sie steuern den Austausch zwischen Blut und Körpergewebe. Die Textilforscher täuschen mit der textilen Membran dem Blut vor, es handle sich um ein echtes Herz.

Am Forschungsprojekt Zurich Heart ist neben der Empa, ETH, Universität und ihren universitären Spitälern Zürich auch das Deutsche Herzzentrum Berlin beteiligt. Die Forschenden gehen davon aus, dass die Technologie in zehn Jahren marktreif sein wird. Bild: Empa

Herz vergroessert

2000-fach vergrössert unter dem Mikroskop: Hier sieht man die Zellen (gelb), die sich in ein Geflecht elektrogesponnener Fasern (weiss) integrieren. Gewebe wächst heran. Bild: Empa

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Eine menschliche Muskelzelle wächst auf einem Vlies aus mikrometerdünnen Polymerfasern. Auf diese Weise tarnen die Textilforscher die Kunstmembran biologisch. Es wirkt fürs Immunsystem wie ein normales Blutgefäss. Bild: Empa

Ein Hauch von Nichts in der Luft

In der Luft zählt jedes Kilo. Das gilt insbesondere für Passagierflugzeuge. Je leichter sie sind, desto weniger Treibstoff verbrauchen sie. Das spin-off Caynova des Langenthaler Unternehmens Lantal Textiles AG hat sich etwas Besonderes einfallen lassen. Es hat ein System für Sitzkissen entwickelt, das den Schaumstoff durch Luft ersetzt. Die Polsterung löst sich quasi «in Luft» auf. Das ist nicht nur bequem, sondern spart auch Gewicht.

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Luftgefüllte Kissen ersetzen die Schaumpolsterung und sparen damit Gewicht ein. Bild: Caynova AG

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Diverse Luftgesellschaften schwören bereits auf das System. Bild: Caynova AG

Hot N Cold: Eine andere Entwicklung der Firma ermöglicht es den Flugpassagieren, ihr Sitzklima wie beim Autositz zu steuern und zu regulieren. Aktuell ist diese komfortable Ausstattung aber nur Reisenden in Business- und First-Class-Flügen vergönnt. Auch Crew-Mitglieder und Eigentümer von Privatjets dürfen sich über eine klimaregulierende Matratze von Caynova freuen.

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Das eingebaute Heizsystem sorgt fühl wohlige Wärme. Bild: Caynova AG

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Passagiere können das Klima ihres Sitzes selbst regulieren - von wärmend bis kühlend. Bild: Caynova AG

Ein Gürtel fürs Weltall

50'000 Dollar pro Kilogramm – so viel kostet es etwa, Waren mit Transportraketen ins Weltall zu bringen. Etwa zur Internationalen Raumstation ISS, die sich periodisch mit Material versorgen lässt. Jedes zusätzliche Gewicht schlägt hier zu Buche.

Auf Leichtigkeit baut die gesamte Firmenphilosophie der Rupperswiler Cortex Hümbelin AG auf. Ihre Befestigungsgurte wiegen nur halb so viel wie herkömmliche Polyestergurte. Damit lassen sich eigenen Berechnungen zufolge 16 Kilogramm einsparen. Möglich macht es eine ausgeklügelte Oberflächenbeschichtung kombiniert mit hochfesten Materialien. Sie sind nicht nur federleicht, sondern ausgesprochen zugfest. Auch im Automobilrennsport sind ihre Produkte anzutreffen, etwa bei sogenannten Radrückhalteseilen. Die Technologie dahinter ist sogar durch internationale Patente geschützt.

Eine Sonde für heikle Gebiete

Bei Unternehmer Simon Bernath reihen sich die Nominierungen und Auszeichnungen allmählich aneinander: Seine Firma ttsinova aus Thayngen hat eine spezielle Erdwärmesonde aus Textilien entwickelt, die sich künftig auch für heikle Grundwassergebiete eignet. Denn in einigen ist der Einsatz von Erdsonden verboten.

Bernaths Entwicklung besteht aus lebensmittelkonformen Rohstoffen und verwendet ausschliesslich Trinkwasser als Wärmeträgerflüssigkeit. So läuft sie keine Gefahr, bei der Installation Grundwasser zu verschmutzen. Die textile Sonde gleicht einem gewebten Schlauch und ist mit Silikon abgedichtet. Sie lässt sich bis zu einer Tiefe von 500 Metern einsetzen und soll jährlich etwa 1'100 Tonnen CO2 einsparen.

Erdwärmesonden nutzen die Wärme, die im Untergrund gespeichert ist. Mit der thermischen Energie lassen sich Gebäude heizen oder kühlen und Warmwasser erzeugen. Erdwärme kommt gänzlich ohne die Verbrennung fossiler Brennstoffe aus und gilt deshalb als umweltfreundlich.

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Die textile Sonde gleicht einem gewebten Schlauch und ist mit Silikon abgedichtet. Bild: ttisnova

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Wegen den lebensmittelverträglichen Rohstoffen und dem Trinkwasser als Wärmeträgerflüssigkeit lässt sich die Erdsonde auch in heiklen Grundwassergebieten einsetzen. Bild: ttisnova

Ttisnova Einbau

Erdwärme kommt gänzlich ohne die Verbrennung fossiler Brennstoffe aus und gilt deshalb als umweltfreundlich. Bild: ttisnova

Von einfach gestrickt bis revolutionär

Wie die Beispiele zeigen, ist Textil nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Kaum ein Material ist so vielseitig einsetzbar und hat überdies das Potenzial, unser Leben zu revolutionieren.

Dieser Beitrag ist im Rahmen der Initiative reflect your style von Sustainble Textiles Switzerland 2030 entstanden. Weitere Infos sind auf Instagram, Facebook und über Mail initiative@sts2030.ch erhältlich.

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