Mirjam Matti Gähwiler / Nina Bachmann — 01.04.2022

Am 24. und 25. März traf sich die Gruppe Sustainability der Euratex, dem europäischen Dachverband der Textil- und Bekleidungsbranche, zum Austausch in der Schweiz. Organisiert durch Swiss Textiles trafen sich knapp 35 Teilnehmende aus 28 Ländern und besprachen die neusten Entwicklungen hinsichtlich Regulierungen im Nachhaltigkeitsbereich in der EU.

Die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ist gerade im Bereich Nachhaltigkeit wichtig. Viele Gesetze und Bestimmungen der EU betreffen auch die Schweizer Unternehmen.

Nina Bachmann

Nina Bachmann

Swiss Textiles
Nachhaltigkeit, Technologie, Mitglied der Geschäftsleitung
T: +41 44 289 79 02
nina.bachmann@swisstextiles.ch

Nina Bachmann gibt Einblick, welche Themen auf der europapolitischen Agenda stehen und welche konkreten Projekte in der Schweiz in den nächsten Monaten und Jahren anstehen.

Was sind die wichtigsten Themen der Sustainable Group in der Euratex derzeit?
Wir haben uns den ganzen ersten Tag den neuen EU-Regulierungen im Bereich der Kreislaufwirtschaft gewidmet. Mit der «EU Textile Strategy» als Teil der "Sustainable Product Initiative" will die EU dafür sorgen, dass die im EU Markt verkauften Produkte zukünftig in Kreisläufen zirkulieren. Das klingt natürlich gut – im Detail sind es dann aber sehr umfassende Regulierungen, die in der jetzigen Form zu einer Umwälzung der gesamten EU-Industrie und deren Zulieferern führen wird. Neben Vorschriften zum Design, zur Materialzusammensetzung, zur Langlebigkeit etc. möchte die EU auch die Weitergabe von Informationen über die Lieferkette regeln, so dass Konsumierende und auch Recycler wissen, was im Produkt drin ist. Insbesondere bei diesem «Digital Product Passport» sind noch viele Fragen ungeklärt. Wie sollen beispielsweise alle Daten, die momentan nur auf Unternehmensstufe verfügbar sind wie Energie- und Wasserverbrauch – auf die einzelnen Produkte heruntergerechnet werden? Und was ist ein Produkt? Sind Garn, Etikette, Knöpfe in einer Hose bereits Produkte, die je einen eigenen Passport brauchen oder ist nur die Hose das Produkt?

Wie soll das für KMU umsetzbar sein?
Wir haben basierend auf einem Vorschlag der Vertreterin aus Finnland grundlegende Prinzipien der Positionierung diskutiert, mit denen Euratex gegenüber den EU Behörden die Interessen der Textilbranche vertreten kann.
Am zweiten Tag war dann die Chemikalienregulierung REACH im Fokus – seit Jahren ein unbeliebtes Dauerthema. Immer mehr Chemikalien werden von der EU auf die Liste der «potentiell gefährlichen Substanzen» gesetzt, was die in Europa produzierenden Betriebe vor grosse und teilweise unlösbare Herausforderungen stellt - zumal die Überwachung der Importe nur schlecht funktioniert. Hier war bei den Teilnehmenden eine zunehmende Resignation und Frustration zu spüren, insbesondere bei denjenigen, die am Standort Europa High-Tech Textilien produzieren. Oder wie es ein Teilnehmer angesichts der neuen Regulierungsvorschläge ironisch ausgedrückt hat: «For EU authorities, possibly every chemical substance is of concern – even H20 – water».

Die Schweiz setzt im Grundsatz mehr auf die Eigenverantwortung der Unternehmen und es wird nicht alles bis zum letzten Detail durchreguliert, wie das in der EU zunehmend der Fall ist.

Zieht die Schweiz bei allen Themen gleich mit oder gibt es Unterschiede?
Es gibt schon Unterschiede. Weniger in den Themen, aber in der Ausgestaltung. Die Schweiz setzt im Grundsatz mehr auf die Eigenverantwortung der Unternehmen und es wird nicht alles bis zum letzten Detail durchreguliert, wie das in der EU zunehmend der Fall ist. Aufgrund der Wichtigkeit des EU-Marktes muss die Schweiz aber bestrebt sein, EU Regulierungen nachzuvollziehen, um Handelshemmnisse zu vermeiden. Deshalb werden die Regulierungsschwerpunkte der EU schon sehr genau beobachtet und haben häufig auch entsprechende Regulierungen in der Schweiz zur Folge.

Das Thema Kreislaufwirtschaft ist auch in der Schweiz in der Verwaltung und Politik angekommen. Kürzlich wurde aufgrund einer parlamentarischen Initiative eine Vernehmlassung durchgeführt. Es geht um Änderungen im Umweltschutzgesetz. Worum geht es da genau?
Die parlamentarische Initiative 20.433 ist das Resultat von zahlreichen Vorstössen im Parlament. Im Umweltschutzgesetz soll die Grundlage für Materialkreisläufe geschaffen werden. Es soll beispielsweise möglich sein, für innovative Pilotprojekte befristete Abweichungen von den Bestimmungen des USG zu erlauben und es wird die gesetzliche Grundlage für Recyclinggebühr-Systeme auch ausserhalb der Elektronikartikel gegeben.

Stichwort Recyclinggebühr. Einige Länder der EU kennen diese bereits für Textilien. Was ist in der Schweiz geplant?
Für Textilien ist in der Schweiz momentan noch nichts Konkretes geplant. Wir selbst überlegen aber bereits jetzt zusammen mit unseren Mitgliedern, wie ein System einer textilen Recyclingabgabe aussehen müsste. Welche Ziele müssten damit erreicht werden? Was wird damit finanziert? Wie wird ein solches System organisiert? Im Rahmen eines Workshops haben wir am 31. März mit Hilfe von Swiss Recycling zusammen mit knapp 30 Unternehmen erste Ideen gesammelt. Diese Ideen werden wir nun aufbereiten. Möglicherweise entwickelt sich daraus ein kleines Pilotprojekt, bei dem wir das Ökosystem «Textilkreislauf» auch aus Finanzierungssicht einmal ausprobieren können.

We are already discussing the potential shape of a textile recycling levy scheme with our members.

Sie agieren als Bindeglied zwischen den Firmen, der Verwaltung und der Politik. Wie bringen Sie die Anliegen der Firmen in die Verwaltung und das Parlament und wie können die Firmen mitreden?

Am erfolgreichsten ist es, wenn wir die Anliegen von Firmen bereits früh im politischen Prozess bei der Verwaltung einbringen können, also eigentlich noch bevor ein Gesetzesentwurf steht. Aber wir sind auch in den späteren Phasen des politischen Prozesses aktiv, indem wir mit Parlamentariern und Parlamentarierinnen in Kontakt treten oder indem wir uns mit anderen Verbänden zusammentun und schriftlich Stellung nehmen. Die Firmen reden bei uns über unsere Fachgremien mit – bei politischen Geschäften sind es vor allem die beiden Fachgremien Wirtschaftspolitik und Nachhaltigkeit, die deshalb auch oft zusammenarbeiten. Wir nehmen die Anliegen der Unternehmen auf und erarbeiten auf deren Grundlage innerhalb der Geschäftsstelle eine Positionierung. Insbesondere sind für uns Beispiele aus der Praxis sehr wertvoll – Gesetzesartikel sind oft sehr abstrakt, wenn Unternehmen aber beschreiben können, wie sich das in ihrem Alltag auswirkt, ist das hilfreich für das Verständnis unserer Position bei der Verwaltung und dem Parlament.

Wie steht Swiss Textiles gegenüber der Festlegung von Vorgaben für die Kreislaufwirtschaft durch staatliche Regulierung?
Swiss Textiles anerkennt, dass in gewissen Fällen eine Regulierung unterstützend wirken kann. Vor allem wenn es durch eine Vereinheitlichung gleichzeitig auch zu einer Vereinfachung von Prozessen im Nachhaltigkeitsmanagement von KMU kommt. Auch ist gerade für Innovation zentral, dass auch die Regulierung die Bestrebungen für Zirkularität abbildet und wegkommt vom linearen Denken. Abfall ist nicht immer Abfall - er kann auch Rohstoff für Neues sein – mit entsprechenden Auswirkungen auf Abfall- und Zollgebühren. Das muss abgebildet werden. Die Vorlage der USG-Revision zielt hier in die richtige Richtung, in den Details haben wir aber einige Änderungswünsche. Unsere Stellungnahme zur Pa.Iv. 20.433 dazu kann hier nachgelesen werden.

Wie setzt Swiss Textiles das Thema Kreislaufwirtschaft um?
Im Rahmen von STS 2030 möchten wir unsere Mitglieder bei der Etablierung einer textilen Kreislaufwirtschaft unterstützen. Momentan machen wir das mit vielen Einzelprojekten, die sich aber alle an den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft ausrichten. Diese Einzelprojekte sehe ich als einzelne Puzzleteile – sie sollen im Lauf der nächsten Jahre neue Erkenntnisse bringen und zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden können.

SWISS-TEXTILES-PROJEKTE, DIE SICH ALLE AN DEN PRINZIPIEN DER KREISLAUFWIRTSCHAFT AUSRICHTEN.
Kreislauf st

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