Die Schweizer Textilbranche beweist in der aktuellen Krise ihre Handlungsfähigkeit. Durch Swiss Textiles mit Partnern aus Industrie und Forschung vernetzt, beteiligen sich Unternehmen aus diversen Sparten an der Entwicklung sogenannter Community-Masken. Akteure aus der Textilbranche sprechen über Innovationsgeist, Verantwortungsbewusstsein und die Herausforderung, in kürzester Zeit ein neues Produkt zu realisieren.
Für diesen Artikel wurden Vertreter der Empa sowie der Firmen Cilander, CQ Corporate Fashion, Flawa Consumer, Forster Rohner, HeiQ Materials, Sigvaris, Swisstulle, Serge Ferrari Tersuisse, Weba Weberei Appenzell und WeMask interviewt.
Seit die National Covid-19 Science Task Force am 23. April eine Empfehlung für die Qualität von Community-Masken ausgesprochen hat, weiss die Branche endlich, an welchen Spezifikationen sie sich orientieren kann. Fast das gesamte Spektrum der Textilbranche ist in der Schweizer Maskenproduktion aktiv: Designer, Textiltechnologen, Entwickler medizinischer Textilien, Sticker, Stricker, Weber, Wirker und Textilveredler. Manche produzieren im Alleingang, andere nutzten die von Swiss Textiles gegründete Plattform und vernetzten sich. So vielfältig die Ausgangslage, so divers sind die Masken, die entwickelt werden: Manche setzen auf niederschwellige Mittel mit effizienter Wirkung, andere auf innovative Ausrüstungen und Techniken. Allen gemein ist, dass sie nicht für medizinische Zwecke, sondern für die Bevölkerung produziert werden.
Für uns Wissenschaftler war rasch klar, dass einfacher Stoff nicht genügend schützt.
«Die Anfrage des Krisenstabs des Bundes nach Qualitätsempfehlungen erreichte uns Mitte April», so René Rossi, Leiter des Empa-Labors zur Entwicklung intelligenter Textilien. «Zu der Zeit setzten wir uns im Rahmen der Science Task Force intensiv mit drängenden Fragen zur Maskenknappheit auseinander.» So entstand das Projekt ReMask, das – wie der Name andeutet – Möglichkeiten erforscht, Masken zu recyceln. Rossi erklärt: «Für uns Wissenschaftler war rasch klar, dass einfacher Stoff nicht genügend schützt. Darum haben wir mit 15 Instituten, Epidemiologen und Spitälern einen Kriterienkatalog erarbeitet, der vorgibt, was eine Community-Maske alles können muss – innerhalb von nur einer Woche.»
Unterdessen waren viele Firmen in der Entwicklung ihrer Masken weit vorangeschritten. «Weil wir in unserer Fabrik in China bereits im Januar mit dem Thema konfrontiert waren, befassten wir uns schon früh damit», so Emanuel Forster vom Stickereibetrieb Forster Rohner. «Als Swiss Textiles anfragte, welche Firmen sich in der Maskenproduktion engagieren wollen, war das für uns die Initialzündung. Wir kooperieren mit verschiedenen Firmen und nutzen Synergien. Am intensivsten arbeiten wir mit Cilander, Schoeller und Tersuisse, mit denen wir jeweils eigene Maskenmodelle herstellen.»
Trotz zeitlicher Überschneidung ist Forster Rohner nun fast am Ziel. Obwohl die Qualitätsempfehlungen in der Schweiz sehr hoch sind, mussten die Masken nur geringfügig angepasst werden. Nun liegen sie der Empa zum Test vor. Weit über 100 Anfragen sind eingetroffen, entsprechend lange dauert es, bis Resultate vorliegen. Besteht eine Maske den Test, darf übrigens trotzdem nicht «Empa geprüft» auf der Verpackung stehen – als Forschungsinstitut vergibt die Empa weder Gütesiegel noch Zertifikat. «Darum werden wir das Testen bald einem privaten Prüfungsinstitut übergeben, das später auch eine Zertifizierung vornehmen wird. Die Übergabe soll so rasch wie möglich stattfinden, um Klarheit im Wirrwarr der Begrifflichkeiten zu schaffen», so Rossi.
Gleich mehrere Masken-Projekte verfolgt Cilander aus Herisau. Neben dem Konsortium mit Forster Rohner kooperiert und produziert der Textilveredler mit Schips, Hersteller medizinischer Textilien, den Filterherstellern Unrepa und LTB, einem Schweizer Extremsport-Unternehmen sowie der Firma Livinguard, die antiviral beschichtete Masken herstellt. Cilander plant auch ein eigenes Produkt: «Wir haben eine langfristige Masken- und Textilstrategie entwickelt, weil wir denken, dass uns Masken in der Mode noch lange begleiten werden», so CEO Burghard Schneider. «Unsere Stärke ist das ausgerüstete, hochtechnisierte Textil. Da sehen wir in der Schweiz eine Chance, ein kleines, feines Marktsegment aufzubauen.»
Importierte Masken aus Asien werden zwar auf Funktionen getestet, aber nicht auf ihre Inhalte geprüft.
Schneider hofft, einen Teil seiner Masken dem Bund liefern zu können. Darauf warten möchte er aber nicht. Als Vertriebskanal kommen primär Grosshändler infrage. «Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Masken mehr können, nachhaltiger und tragfreundlicher sind, das Textil besser und sauberer ist. Im Massenmarkt haben wir keine Chance. Importierte Masken aus Asien werden zwar auf Funktionen getestet, aber nicht auf ihre Inhalte geprüft. Was wir einatmen, ob Weichmacher oder giftige Substanzen enthalten sind, wissen wir nicht.» Nachhaltigkeit ist bei der Produktion von Textilmasken ein wichtiger Aspekt: Da sie waschbar sind, können sie mehrfach getragen werden und generieren so weit weniger Abfall als Einwegprodukte.
Auch Rossi glaubt, dass die Produktion von Masken im Hightechbereich in der Schweiz Zukunft hat: «Natürlich stellt sich die Frage, ob die Maskenproduktion für die Schweiz systemrelevant ist und vom Bund mitgetragen werden könnte. Die Aufgabe der Empa ist es, die Industrie bei der Entwicklung innovativer Produkte zu unterstützen, deren Herstellung in der Schweiz rentiert.» So verfolgt auch das Projekt ReMask mittlerweile weitreichende Ziele. Experten aus Forschung, Gesundheit und Textilindustrie spannen zusammen, um Technologien, Konzepte und Produkte für die Bekämpfung von Covid-19 zu entwickeln. Ziel ist unter anderem die Realisierung neuartiger Masken, die mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet sind.
Dicht an der Quelle der Innovation ist eine Appenzeller Weberei. Gemeinsam mit dem Textilchemiebetrieb HeiQ hat Weba einen Baumwollstoff entwickelt, der zusätzlich zu einer hydrophoben Beschichtung auch antibakterielle und antivirale Wirkungen zeigt. Das Gewebe ist schadstofffrei, dermatologisch getestet und kann bis zu 30 Mal bei gleichbleibender Wirkung gewaschen werden. «Wir arbeiten schon seit Jahren mit HeiQ zusammen. Nur deshalb war es möglich, in so kurzer Zeit ein Produkt wie dieses herzustellen», so Alexander Barberi, Head of Sales and Design. Über Swiss Textiles erreichten Weba Anfragen verschiedener Firmen, die den neuen Stoff zu Masken verarbeiten wollen. Erste Aufträge dürften bald eintreffen.
Wirtschaftlich gesehen sind die Masken ein Tropfen auf den heissen Stein. Grössere Mengen erhoffen wir uns durch die Produktion von Schutzbekleidung.
«Wirtschaftlich gesehen sind die Masken ein Tropfen auf den heissen Stein. Grössere Mengen erhoffen wir uns durch die Produktion von Schutzbekleidung; da sind wir zurzeit im Gespräch mit Unternehmen aus Grossbritannien und Italien», so Barberi. Bei HeiQ treffen mittlerweile Anfragen aus der ganzen Welt ein. Darunter sind Textilhersteller, die die Technologie auf ihren eigenen Stoffen anwenden möchten, Marken-Partner, die Produkte mit antimikrobiellen Eigenschaften ausrüsten wollen, sowie Händler, die HeiQ Viroblock-Masken in ihren Ländern weiterverkaufen möchten. Und während Private um ein Dutzend Masken anfragen, wollen andere drei Millionen Masken für einen UNO-Einsatz besorgen.
Auf gestrickte Masken setzt das Medtech Start-up Nahtlos. Das Empa-Spin-off stellt unter dem Namen WeMask mehrere Modelle her, die teils von der Schweizer Strickerei Traxler, teils in Deutschland produziert werden. Neben Biobaumwolle kommt auch ein antibakterielles Garn zum Einsatz. Julia Mackenroth, Product Manager und Knitwear Specialist, erklärt: «Strick hat den Vorteil, dass er atmungsaktiv, bequem und flexibel ist. Stricken ist eigentlich wie textiler 3-D-Druck: Man kann Basismaterialien herstellen, die verschiedene Funktionen in sich vereinen.» Eines der Modelle wird nun von der Empa getestet. Damit das weiche Textil die strengen Anforderungen erfüllt, wird es nahtlos gestrickt und mit einem Filtervlies zum Wechseln versehen.
Nicht bloss Funktionalität und Schutz, auch der Design-Aspekt spielt bei der Entwicklung von Community-Masken eine wichtige Rolle. Besonderes Potenzial bietet in dieser Hinsicht der Bereich Corporate Identity: Sophie Chiquet, Designerin, CEO und Gründerin der CQ Corporate Fashion, stellt für Firmen unter der Marke chiQuet protective clothing individualisierte Stoffmasken her. Für ihren ersten Prototypen orientierte sie sich an den Normen des französischen Prüfungsinstituts AFNOR. Nun plant sie, ihre Modelle an die Schweizer Empfehlungen anzupassen. Parallel dazu gründete CQ Corporate Fashion mit Coat-X und weiteren europäischen Firmen ein Konsortium, das innovative Schutzfunktionen für Stoffe entwickelt.
Unser Ziel ist die Unterstützung des kurzfristigen Bedarfs. Wir möchten in der aktuellen Situation einen positiven Beitrag leisten.
Ganz in Eigenregie agiert Swisstulle. Da der Wirkereibetrieb mit Standorten in der Schweiz, China und England neben Tüll und Gewirken auch technische Textilien herstellt, ausrüstet, färbt und konfektioniert, können sämtliche Verarbeitungsschritte in eigenen Betrieben durchgeführt werden. Auch Sigvaris, Hersteller von Strickwaren im Bereich Medizintechnik, arbeitet ohne Partnerbetriebe. «Als weder der Bund noch andere Hersteller auf uns zukamen, wurden wir selbst aktiv. Weil wir keine Zuschneiderei haben, entwickelten wir unsere Masken mit vorhandenen Betriebsmitteln. Die logische Konsequenz war der Einsatz von Rundstrickmaschinen und die Verwendung desselben Garns, das wir auch in der Strumpfherstellung verwenden. Die Strickmasken sind besonders einfach zu handhaben und helfen Personen, die Ear-Loop-Masken schlecht vertragen», so Helmut Winner, COO St. Gallen. Wie Swisstulle lässt auch Sigvaris seine Masken von der Empa testen. Eine Zertifizierung ist zurzeit aber nicht geplant: «Unser Ziel ist die Unterstützung des kurzfristigen Bedarfs. Wir möchten in der aktuellen Situation einen positiven Beitrag leisten.»
Auf betriebseigene Mittel setzt auch Serge Ferrari TerSuisse. Für die Kooperation mit Forster Rohner verwendet der Garnhersteller und Textilveredler ausschliesslich Gewebe aus der eigenen Verarbeitung, um die Lieferfähigkeit garantieren zu können. Niklaus Zemp, Direktor der Schweizer Standorte, erklärt: «Wir versuchen, mit möglichst niederschwelligen, einfachen Mitteln das Beste zu erreichen. Die wirtschaftliche Wirkung wird zwar nicht gross sein, es geht uns mehr ums Prinzip. Wir leisten einen Beitrag, indem wir für die Bevölkerung und unsere Angestellten Masken herstellen.»
Die Produktion von Universalschutzmasken entstand primär aus dem Gedanken der gesellschaftlichen Verantwortung.
Eine Sonderrolle in der Schweizer Maskenproduktion nimmt Flawa Consumer ein. Der Hersteller von Watteprodukten und Frischesohlen stellt neben Universalschutzmasken bald auch medizinische FFP2-Masken her. «Die Produktion von Universalschutzmasken – vergleichbar mit klassischen Chirurgenmasken – entstand primär aus dem Gedanken der gesellschaftlichen Verantwortung», so Alfredo Schilirò, Pressesprecher. «Daher verkaufen wir sie nicht an Grosshändler, sondern an Private und Betriebe schweizweit.» Ob die Produktion von Schutzmasken ein ergänzendes Standbein für die Firma wird, ist noch offen. Erst muss sich zeigen, wie sich die Nachfrage im In- und Ausland entwickelt.
Auch für viele der anderen Firmen ist dies ein Faktor der Unsicherheit. Der weitere Verlauf der Pandemie sowie Entscheidungen des Bundes werden einen massgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung haben. Auch Innovationsgeist spielt dabei eine wichtige Rolle. Wie aus gewöhnlichen Masken hochinnovative Produkte werden, wird die Empa bald gemeinsam mit Partnern aus der Industrie erforschen. Dabei geht es auch um die Frage, wie sich die Maskenproduktion langfristig in der Schweiz halten lässt – und damit Teil des Kompetenzzentrums für textile Lösungen wird.
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