Nina Bachmann / Mirjam Matti / Adriana Zilic — 31.10.2023

Nachhaltigkeit in seinen vielen Facetten ist ein Dauerbrenner in der Textilbranche. Faire Arbeitsbedingungen, umweltschonende Produktionsprozesse und vor allem: die Umstellung von der linearen zur zirkulären Textilwirtschaft beschäftigen die Unternehmen. Wo steht die Branche? Und wie einfach ist es, Textilien zu rezyklieren?

Textilrecycling ist in aller Munde. Meistens wird damit aber lediglich die Textilsammlung gemeint: In der Schweiz werden laut des Geschäftsberichts von Texaid ungefähr 36ʾ000 Tonnen Altkleider pro Jahr gesammelt. Das sind rund 100 Tonnen Altkleider täglich. Etwas mehr als die Hälfte gelangt als Zweitnutzung auf die weltweiten Secondhandmärkte.

Recycling ist nicht gleich «Recycling»

Dies ist allerdings kein Recycling, sondern ein Re-Use: Die Textilien werden verkauft, noch einmal oder bestenfalls mehrere Male getragen und danach definitiv entsorgt. Sie landen im Abfall – sprich im Normalfall auf einer Deponie. Seltener in einer Kehrichtverbrennungsanlage.

Nicht mehr tragbare Textilien verarbeitet die Industrie zu Putzlappen, Reisswolle und Dämmstoffen. Auch diese Verwertungsform ist kein Recycling im eigentlichen Sinn: Man spricht hier von Downcycling, weil hochwertige Textilien in «minderwertigen» Anwendungen landen.

Echtes Recycling: zwischen Chemie und Mechanik

Das echte Recycling ist eine andere Geschichte. Textilien werden dem originalen, geschlossenen Kreislauf zugeführt und dort behalten. Aktuell lassen sich zwei Kategorien von Recyclingtechnologien unterschieden: das mechanische und das chemische Recycling.

Ersteres bearbeitet Alttextilien mechanisch: Fasern werden ohne Chemikalien gerissen und zu neuen Fäden versponnen. Eine andere Methode schmilzt die Granulate aus gehäckseltem PET ein und spinnt sie neu.

Mechanisches Recyclinggarn meist rau und grob

Je nach Anwendungsgebiet müssen beim mechanischen Recycling Qualitätseinbussen hingenommen werden: So entstehen beispielsweise durch das Reissen sogenannte Kurzfasern. Deren Enden stehen im fertig versponnenen Garn stärker ab als die Enden von sogenannten Langstapelfasern. Recyclinggarn aus mechanischem Recycling fühlt sich daher sehr rau an. Das mag für Teppiche irrelevant sein oder sogar spannende Designaspekte mitbringen. Für feine Hemdenstoffe oder Bettwäsche hingegen können solche Recyclinggarne nur in kleinen Mengen gemischt mit neuen Garnen verwendet werden.

Bessere Garnqualität, dafür aufwendiger

Vielversprechender hinsichtlich Garnqualität, aber einiges komplexer, ist das chemische Recycling: Hier werden mittels chemischer Prozesse die Grundbestandteile der Materialien aus den Textilien herausgelöst. Etwa die Cellulose bei der Baumwolle oder die Erdölbestandteile beim Polyester. Dieser Prozess setzt aber voraus, dass die Materialien in möglichst reiner Form vorliegen. Sie sollten vorher also sortiert werden.

Lösungen auch für Mischgewebe

Inzwischen gibt es auch für Mischgewebe bereits erste innovative Ansätze. Möglich ist zum Beispiel ein stufenweises Verfahren, das die verschiedenen Bestandteile der Textilien nacheinander herauslöst. Aus der «Spinnmasse» des chemischen Recyclings lassen sich neue Fasern machen.

Diese haben zwar (im Falle von Baumwolle) nicht mehr die gleiche Qualität wie die ursprünglichen Fasern. Dennoch genügen sie ähnlichen Qualitätsansprüchen und können in denselben Gebieten zur Anwendung kommen (zum Beispiel als Lyocell für Bekleidung).

Herausforderungen des chemischen Recyclings

Eine Herausforderung beim chemischen Recycling liegt darin, den Prozess so zu gestalten, dass er den heutigen Ansprüchen genügt. Die Chemie bietet unendlich viele Möglichkeiten – nur ein kleiner Teil davon ist ökologisch unbedenklich.

Europaweit, auch in der Schweiz, entstehen zurzeit zahlreiche Start-ups. Diese könnten ihren Teil zu einem ökologischen chemischen Recycling beitragen. Die einzelnen Lösungen zu einem ganzheitlichen und kostengünstigen Prozess zusammenzufügen, der mit den Preisen der Neumaterialien mithalten kann – das ist die Hürde, die die Textilbranche in den nächsten Jahren nehmen muss.

Wo sehen die Unternehmen die grössten Herausforderungen und an welchen Entwicklungen sind Sie schon dran?


Wir haben nachgefragt:

1) Was ist für Sie die grösste Herausforderung im Recycling von Textilien?

2) Arbeiten Sie derzeit aktiv an einer Lösung für das Recycling von Textilien?

3) In welchen Bereichen sehen Sie die grösste Chance, dass für das Recycling von Textilien bald neue Verfahren auf den Markt kommen?

4) Braucht es gesetzliche Grundlagen, damit das Recycling gefördert wird? Welche?

Moritz Ahrens-Pohle

Moritz Ahrens-Pohle

Jakob Schlaepfer AG
Kollektionsmanager

1) Die grösste Herausforderung für uns ist die noch sehr schwierig zu gewährleistende Kontinuität der Materialeigenschaften bei Rohstoffen mit recycelten Komponenten. Bei wiederverwendeten textilen Fasern zum Beispiel kommt es logischerweise immer wieder zu Farbabweichungen. Die Preissensibilität auf dem Markt ist ebenfalls eine Herausforderung. Nicht alle recycelten Materialien können zum gleichen Preis wie nicht recycelte Produkte angeboten werden.

2) Wir arbeiten fortlaufend an neuen Ideen und Prozessen, die uns in der Nachhaltigkeit weiter nach vorne bringen können. Es sind diverse spannende Projekte mit hohem Potenzial in der Entwicklung.

3) Das grösste Potenzial sehen wir derzeit bei recycelten Polyestermaterialien. Hier hat sich in den vergangenen Jahren enorm viel getan und wir machen immer grössere Fortschritte und kommen immer mehr an die Qualität von neuwertigem Polyester heran und entdecken ebenfalls alternative Materialien.

4) Der Druck seitens der Kunden ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen und Firmen können sich dem Thema Recycling nicht länger entziehen. Mehr und mehr werden sogar schon numerische Zielgrössen von Firmen definiert, die einen Mindestanteil an zertifizierten oder recycelten Materialien vorschreiben. Dies ist sicher eine sehr positive, wenngleich auch herausfordernde Entwicklung. Langfristig sind gesetzliche Grundlagen sicher sinnvoll, damit Recycling keine Modeerscheinung wird, sondern ein unabdingbarer Bestandteil der Textil- und Modeindustrie.

Larissa Keller

Larissa Keller

Schlossberg Switzerland AG
Product Management

1) Leider gibt es in der Schweiz noch zu wenig Möglichkeiten, gebrauchte Textilien in einen Down- oder Upcyclingprozess zurückzuführen. Bei der Verwendung von recycelten Materialien stellen Qualität sowie Preislagen Herausforderungen dar.

2) Wir erarbeiten aktuell ein Rücknahmeprogramm für gebrauchte Schlossberg-Bettwäsche, um die wertvolle Ressource Baumwolle länger nutzen zu können.

3) Gerade ein reines Produkt wie unsere Bettwäsche aus 100 Prozent Baumwolle eignet sich im Gegensatz zu Mischgeweben sehr gut zum Recyceln – hier gibt es ein grosses Potenzial.

4) Aus meiner Sicht sind finanzielle Anreize für die Forschung sowie Start-ups, die auf diesem Gebiet tätig sind, ein wichtiger erster Schritt. Denn erst wenn Recyclingprozesse etabliert sind, können gesetzliche Grundlagen greifen.

Adrian Huber

Adrian Huber

Mammut Sports Group AG
Head of Corporate Responsibility

1) Heute besteht noch immer eine Lücke zwischen Produkten, die nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft hergestellt wurden, und entsprechenden, auf das konsequente Schliessen der Materialkreisläufe ausgerichteten End-of-Life-Lösungen. Der Grossteil der Textilien wird immer noch verbrannt oder landet auf Mülldeponien, ein kleiner Teil wird downcycelt. Geschlossene Materialkreisläufe zu entwickeln und am Markt erfolgreich zu etablieren, ist die grösste Herausforderung.

2) Ja, als Erfinder des Bergseils fühlten wir uns verpflichtet, der Kletter-Community eine nachhaltige Lösung anzubieten. Dazu kommt, dass unsere CO2-Analyse gezeigt hat, dass die Seile mit 13 Prozent den grössten Anteil an unseren Emissionen haben. Das hat uns dazu bewogen, das Close-the-Loop-Projekt zu starten. Uns ist es gelungen, eine Recycling-Infrastruktur sowie eine ganze Wertschöpfungskette aufzubauen, um zu verhindern, dass Seile am Ende der Gebrauchsdauer weggeworfen werden müssen. Aktuell machen wir aus alten Seilen hochwertige Funktions-T-Shirts. Dieses Projekt hat das Potenzial, global skaliert zu werden und wurde 2021 mit dem ISPO Award ausgezeichnet. Ein weiterer Ansporn, in kreislauffähige Ideen und Geschäftsmodelle zu investieren.

3) Einen wahren «Game Changer» sehe ich in chemischen Recyclingtechnologien. Eine hochkomplexe Funktionsjacke, die aus unzähligen Materialkomponenten besteht, mechanisch zu rezyklieren, funktioniert nicht. Wenn so ein komplexes Produkt auf umweltschonende Art und Weise chemisch in die Einzelkomponenten aufgebrochen werden kann, wird das die Textilindustrie revolutionieren. Die grösste Chance sehe ich derzeit bei einfacheren Fasermischungen wie Baumwolle und Polyester. Da stehen innovative Akteure wie zum Beispiel Demeto kurz vor dem Durchbruch.

4) Ja, alle Akteure, egal ob Hersteller, Investoren, Händler, Endkonsumenten oder die Politik: Recycling als Teil einer Kreislaufwirtschaft kann nur gelingen, wenn alle in die gleiche Richtung marschieren. Gesetzliche Grundlagen sind wichtig, um einen klaren Handlungsrahmen vorzugeben. Sie erhöhen zudem auch die Planungs- und Investitionssicherheit. Initiativen wie der European Green Deal sind vor diesem Hintergrund sehr zielführend und begrüssenswert.

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