Das Schweizer Militär, die Rega und private Helikopterfirmen – sie alle kommen nicht ohne die AirWork & Heliseilerei aus dem schwyzerischen Immensee aus. Ihre Helikopterleinen und Rettungsmittel wie Horizontalnetze oder Rettungsdreiecke werden für den Transport auf Land und in der Luft eingesetzt. Swiss Textiles hat die Seilerei besucht und hinter die Kulissen geblickt.
So abenteuerlich der Arbeitsbereich der AirWork & Heliseilerei ist, so spektakulär sind ihre Auftraggeber. Manche von ihnen lesen sich wie eine Besetzung aus einem Actionfilm: nationales und internationales Militär, Polizei inklusive Spezialeinheiten, Raumfahrt, Feuerwehr, Rega oder Air Zermatt
Von Unfällen beim Skifahren und Wandern bis hin zur verletzten Kuh auf der Alp: Kaum ein Transport oder eine Rettung, bei denen ihre Produkte nicht im Einsatz sind. Im schwyzerischen Immensee entwickelt, produziert und zertifiziert «AirWork» Bau- und Ausrüstungsteile. Dazu gehören Horizontalnetze, Rettungsdreiecke und Seile mit zertifizierten Spezialnähten, um Schwerlast wie Baumstämme oder Nutztiere zu befördern oder Ladungen und Personen zu sichern. Auf Strassen, in den Lüften und selbst im Weltall.
Wir sind bislang der einzige zertifizierte Schweizer Betrieb, der Heliseile herstellt, mit denen man Menschen auch ausserhalb der Helizelle transportieren kann.
Vor allem wegen den Bergungen in den Alpen geht dem achtköpfigen Team praktisch nie die Arbeit aus. Fast 70'000 Menschen verletzen sich gemäss der Beratungsstelle für Unfallverhütung jedes Jahr im Winter in den Schweizer Bergen. Im Sommer sind es 36'000.
AirWork wird vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) und von der europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) beaufsichtigt. «Wir sind bislang der einzige zertifizierte Schweizer Betrieb», betont Martin Schnoop stolz, «der Heliseile herstellt, mit denen man Menschen auch ausserhalb der Helizelle transportieren kann». Der Beschaffungs- und Logistikleiter ist seit wenigen Jahren auch der neue CEO.
Gegründet wurde die Firma 1999 von Enrico Ragoni, der davor lange Zeit als Forstwart und Flughelfer arbeitete. Dabei merkte er, dass der Helikoptermarkt mehr und spezifische Produkte und Dienstleistungen braucht – die Geschäftsidee für seine spätere Heliseilerei. Inzwischen ist Ragoni kürzergetreten und überlässt das operative Geschäft seinen beiden Nachfolgern, Martin Schnopp und Krzysztof Lukaszewski, Leiter Produktion und Instandhaltung.
Die Seile setzen sich vereinfacht ausgedrückt aus weiteren kleineren Seilen im Kern zusammen und erfüllen je nach Einsatzgebiet unterschiedliche Zwecke. Entsprechend variieren Herstellungsweise und Material.
Ein wichtiger Werkstoff heisst Dyneema. Die Chemiefaser schafft extrem hohe Festigkeitswerte und liefert mindestens das Siebenfache an Sicherheit. Das ist der Wert, der beim Lastentransport erfüllt sein muss. Damit sind Transporte von bis zu zwölf Tonnen möglich. Das entspricht etwa dem Gewicht von zwei bis drei ausgewachsenen Elefanten. Bei Human External Cargo, dem Transport von Menschen, muss die 14-fache Sicherheit gegeben sein.
Die Kevlar Faser wiederum wird für Seilkonstruktionen im Weltraum verwendet. Sie muss extreme Kräfte und Temperaturschwankungen überstehen, stichfest und hitze- sowie kälteresistent sein.
Hergestellt wird hauptsächlich in der Schweiz: «Die Corona-Zeit hat uns gelehrt, dass wir nicht nur von unseren Lieferanten abhängig sein dürfen», erklärt CEO Schnopp. Deshalb habe man praktisch alle Produktionsschritte ins Haus geholt. In Immensee stehen seit zwei Jahren vier Flechtmaschinen. Er zeigt auf eine und erklärt: «Diese hier ist aus den 1960er-Jahren und aus zweiter Hand». So hätten sie sich immer mehr vom Veredler zum echten Hersteller entwickelt.
Einige der geretteten Personen sagten uns danach, wie bequem es im Bergdreieck gewesen sei.
Wie etwa beim sogenannten Rettungs- und Bergedreieck: Eine rot-schwarze Weste mit Sitzfläche, Schulterträgern und Riemen, in denen Personen geborgen werden. Entwickelt und hergestellt hier in Immensee. Krzysztof Lukaszewski erinnert sich: «2021 musste ein Heli wegen einer stehengebliebenen Personengondel in der Turrenbahn in Obwalden ausrücken». Sämtliche 57 Passagiere darin seien einzeln rausgeholt und in ihrem Rettungsbergedreieck transportiert worden. Er greift nach einem Stapel neu genähter Dreiecke und macht gleich selbst vor, wie man es anbringt. Ähnlich wie bei einer Kletterausrüstung führt ein Verschlusssystem zwischen den Beinen durch. «Einige der geretteten Personen sagten uns danach, wie bequem es darin gewesen sei», fügt er mit einem Schmunzeln hinzu. Ihre Konstruktion sei ausserdem so robust, dass sogar Übergewichtige und Schwangere Platz darin hätten.
Wie wichtig es ist, dass man sich in den Lüften sicher fühlt, weiss er selbst nur zu gut. Als er vor fünf Jahren bei AirWork zu arbeiten beginnt, hat er Angst vor dem Fliegen. Nicht gerade optimal, wenn man Rettungsseile für die Luftfahrt herstellt. Die Abneigung legt sich etwas, nachdem er unzählige Audits mitverfolgt, die jedes Produkt durchlaufen muss.
Das sogenannte Spleissen und Recken der Seile sind zwei davon. Bei Ersterem werden die Enden eines Seils miteinander verbunden. Damit entsteht eine dauerhafte und hochfeste Verbindung. Beim Recken wird überschüssige Dehnung aus dem Seil genommen. Es wird besonders zugfest.
Während eines Helikopterflugs über dem Mont Blanc verfliegt Lukaszewskis Phobie dann endgültig. Heute hat er nur noch ein müdes Lächeln für sie übrig.
Anders die Wanderer und Bergsteigerinnen, die dieser Tage wieder in den Alpen unterwegs sind und sich verletzen werden. Wenn gleich man es hier in Immensee niemandem wünscht – einige davon wird der Rettungsheli wie jedes Jahr ins Tal fliegen müssen, festgezurrt mit ihrem Personenlastseil. Auch diesen Sommer wird man die Bergler nicht hängen lassen.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen unserer neuen Reel-Reihe «Blick hinter die Kulissen» auf Social Media.
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