Auf diesen Anlass hat die Textilbranche lange gewartet: Erstmals konnten sich am Forum Kreislaufwirtschaft von Swiss Textiles Ende März die einheimische Industrie und Forschung über neue kreislauffähige Strategien austauschten. Diskutiert wurden etwa umweltschonende Recyclingprozesse oder die Zukunft der zirkulären Textilbranche.
Die Textilbranche muss kreislauffähig werden. Darüber sind sich Forschung, Herstellung, Entwicklung und Design längst einig. Die EU verabschiedete Ende März 2022 ihre Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien. Entsprechende Massnahmen müssen die Unternehmen in der EU und der Schweiz in den kommenden Jahren umsetzen. Dass sich auch hierzulande die Textilbranche in eine ökologische und soziale Richtung entwickeln muss, zeigt sich unter anderem am 2020 lancierten und vom Bund getragenen Programm Sustainable Textiles Switzerland 2030.
Zwar tüfteln Forschung und Industrie schon seit längerem an Prozessen, die die Branche zirkulär machen sollen. Nur: Die Verantwortlichen dahinter tauschten sich bislang kaum aus. Wertvolles Know-how blieb irgendwo ungeteilt hängen.
Nun versammelte Swiss Textiles die relevanten Akteure im Renaissance Tower Hotel in Zürich am sogenannten «Forum Kreislaufwirtschaft». Am schweizweit ersten Treffen von Ende März kamen Forschende, Startup-Gründerinnen und -Gründer, Nachhaltigkeitsverantwortliche und CEOs zusammen, um Wissen und Erfahrungen auszutauschen, gemeinsame Projekte zu starten und neue kreislauffähige Strategien zu diskutieren. Eine davon beschäftigt sich mit der Frage, wie sich biologisch abbaubare Textilien in unsere bestehenden Kompostier- oder Biogasanlagen verwerten lassen.
Doch eins ums andere. Zunächst ein kurzer Blick in die nationale Recyclingstatistik:
Gemäss aktuellen Zahlen des Bundesamts für Umwelt gibt jede und jeder von uns pro Jahr zwischen sechs und sieben Kilo Kleider, Heimtextilien und Schuhe in die Sammelstelle. Zwischen 50'000 und 65'000 Tonnen Alttextilien kommen so jährlich zusammen. Bis zu zwei Drittel davon sind gut erhalten und weiterhin tragbar. Diese verkauft die Schweiz vorwiegend nach Osteuropa, Russland, Afrika und in den Nahen Osten weiter. Etwas weniger als ein Fünftel gelangt ins Downcycling, respektive wird zu minderwertigen Produkten wie Putzlappen oder Dämmmaterial verarbeitet. Ein Recycling für textile Produkte findet praktisch nicht statt. Es steckt noch in den Kinderschuhen (siehe Infobox).
Wo wir wieder zurück beim Forum Kreislaufwirtschaft wären - damit in der nahen Zukunft. Erste Einblicke in die neuen Methoden für chemisches, biochemisches oder mechanisches Textilrecycling wurden gewährt und verraten, wo welche Pilotanlagen gerade entstehen.
So verspricht der biochemische Prozess des Startups Rheiazymes ein besonders umweltschonendes Recycling dank spezieller Enzyme. Bei DePoly und Worn Again Technologies wiederum dreht sich alles um wiederverwertete PET-Flaschen. Ihre Demonstrationsanlagen haben sich aufs Recycling von Polyester spezialisiert, respektive Baumwoll-Polyestermischungen. Und das IT-Tool des Tech-Startups iceep will Textilunternehmen mit einem Rücknahmemodell für die gebrauchten Waren ihrer Konsumentinnen und Konsumenten zu einer zirkulären Strategie verhelfen. LIST Technologies und Säntis Textil AG beabsichtigen, die Qualität von recycelten Naturfasern mit ihren Textilmaschinen und ihrer Lösemitteltechnik massiv zu verbessern, während OceanSafe mit dem sogenannten textilen Baukasten Materialen neu entwickelt und so beim Input ansetzt. Des Weiteren stellten Yarn to Yarn, Texaid, Iteratif und die HSLU ihre Ansätze vor.
Wo der Branche in Sachen Recycling der Schuh drückt, führten die anschliessenden Diskussionsrunden vor Augen: Wie einige Rückmeldungen aus dem Publikum zeigten, geht es vor allem um Unsicherheiten und ungeklärte Rollenverständnisse. So wollen die Unternehmen nicht nur sich selbst, sondern auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Pflicht sehen, damit Schuhe oder Pullis nicht einfach im Müll landeten.
Auch die Frage nach der Verantwortung für die Sammlung gebrauchter Textilien scheint noch offen zu sein. Eine Teilnehmerin etwa wollte wissen, wer die Textilien sammeln und trennen müsste – die Unternehmen, welche die Waren verkauften, oder Recyclingfirmen über ihre Sammelcontainer? Und überhaupt: Ab welcher Menge lohne es sich für ein Unternehmen, ihre verkauften Waren zurückzunehmen und zu recyclen?
Zumindest die Finanzierung könnte über eine Branchenlösung mit Recyclingbeiträgen abgesichert werden, schlug eine andere Person aus der Runde vor. Ein solches Projekt sei in Verpackungsbranche bereits erfolgreich gestartet.
Inmitten dieser Fragen und Ansätze fielen zwei Erkenntnisse besonders auf. Erstens: In kaum einem Land liegen Expertise, Forschung und Können in Sachen Textilien so nah beieinander wie in der Schweiz. Der Ball liegt nun bei den Beteiligten. Und zweitens: Das Forum Kreislaufwirtschaft verdeutlichte, weshalb wir seit mehreren Jahren regelmässig zu den innovativsten Ländern Europas und der Welt gehören, wie das Europäische Patentamt kürzlich wieder bekanntgegeben hat. Gerade was das Textilrecycling anbelangt, dürfen wir auf einiges gespannt sein.
Vielen dürften die Bilder der meterhohen Textilberge in der Atacama-Wüste in Chile oder im afrikanischen Ghana präsent sein. Je mehr Billigkleider wir kaufen, desto kürzer tragen wir sie. Sie landen im Sammelcontainer oder im Haushaltabfall. Eine 2012 veröffentlichte Studie des Bundesamts für Umwelt rechnete aus, dass jährlich etwa 56'000 Tonnen einwandfreier Altkleider im Kehrichtsack entsorgt werden.
Die traditionelle Wiederverwertung, die zwischen dem chemischen und maschinellen Recycling unterscheidet, steht derweil vor grossen Herausforderungen. Diese hat zwei Gründe: erstens die zu komplexe Materialzusammensetzung unserer Textilien, die nicht bis ins Detail ausgewiesen wird. Allein ein BH ist ein Mix aus bis zu 50 verschiedenen Materialen. Zweitens die Synthetik-Fasern, die den überwiegenden Anteil unserer alltäglichen Textilien ausmachen und aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden. Polyester etwa. Synthetik-Fasern lassen sich kaum wiederverwerten, geschweige denn biologisch abbauen.
Noch fehlt es an geeigneten Prozessen, die es mit diesem Materialmix aufnehmen können und dabei Natur und Kosten schonen. Die Branche fordert deshalb, dass sich die Hersteller bei den verwendeten Materialien auf eine Maximalzahl beschränken.
Bereits wird an geeigneten Methoden geforscht und gearbeitet, um die Zusammensetzungen elektronisch zu erkennen. Ein gehandelter Ansatz ist etwa ein waschbarer RFID-Chip im Kleidungsstück. Dieser identifiziert die Materialzusammensetzung und speichert Informationen darüber, die dem Recycler auch nach mehreren Waschgängen und langem Tragen zur Verfügung stehen. Swiss Textiles führte am 26. April dazu ein Webinar durch.
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